Hörschwäche erschwert den Deutsch-Unterricht

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AUF EINEN BLICK
  • In Österreich leben 8000 bis 10.000 gehörlose Menschen, davon 3000 bis 4000 in Wien. Etwa 480.000 Menschen gelten als schwerhörig. Darunter sind auch jene, deren Gehör altersbedingt sukzessive abnimmt.
  • Migranten: Die exakte Zahl der gehörlosen und schwerhörigen Migranten ist in Österreich bisher statistisch nicht erfasst.
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02.07.2008 | 19:16 | Josipa Crnoja

Migranten mit einer starken Hörschädigung haben in der Schule, im Beruf, sehr oft mit Behörden und manchmal sogar in der eigenen Familie mit großen Problemen zu kämpfen.

Meine besten Freunde sind die, die an meinen Ohren hängen“, schreibt Evgenia Guenova in ihrem Gedicht „Niemals“, „nur sie lassen mich die glücklich Redsüchtige sein.“ Ihre besten Freunde – das sind die Hörgeräte. Denn die 20-Jährige ist hochgradig schwerhörig.

„Als Evi zweieinhalb Jahre alt war, wurde mir im Kindergarten gesagt, dass meine Tochter schlecht hört“, erzählt ihre Mutter Silvia. Die anschließenden Untersuchungen haben diesen Verdacht bestätigt. Als das Mädchen sechs Jahre alt war, entschied sich ihre Familie, die bulgarische Heimat zu verlassen. Die Eltern hofften, dass ihre Tochter in Österreich medizinisch und technisch besser versorgt werden könnte. Die ersten Jahre in der neuen Heimat gestalteten sich sehr schwierig. Evgenia war eines der ersten schwerhörigen Kinder der Migrationswelle in den Schulen. Zum ersten Mal in der Volksschule lernte Evi die deutsche Lautsprache. Die Volksschule war es auch, wo sie Anton Egger begegnete, einem Schwerhörigenlehrer. Er half ihr, Deutsch schreiben, lesen und sprechen zu lernen. Vor allem Aussprache und Satzbildung machten ihr am Anfang Schwierigkeiten.

Die Eltern schämen sich

„Wenn die Eltern von der Hörschädigung ihrer Kinder erfahren, wissen sie zuerst nicht, was zu tun ist“, sagt Egger. Manche Eltern schämen sich für das Kind und betrachten die Behinderung als Strafe Gottes. So erzählt der Lehrer, dass ihn etwa die Eltern eines türkischen Mädchens baten, ihr Kind die Hörgeräte nur in der Schule tragen zu lassen – die Großmutter des Mädchens würde die Wahrheit nicht ertragen, fürchteten sie. Völlig anders handelte Silvia Guenova: Sie suchte nach Möglichkeiten, ihrer Tochter zu helfen.

Als ausgebildete Schauspielerin hat sie gemeinsam mit Lehrer Egger vor zehn Jahren VIVA – ein integratives Theater für hörende und nicht hörende Kinder – auf die Beine gestellt. Das Ziel dieses Theaters besteht darin zu zeigen, dass die schwerhörigen Kinder viel mehr können, als ihre Eltern und ihre nähere Umgebung glauben. „Am Anfang habe ich gar nicht gewusst, dass meine Tochter so viel kann: tanzen, Fantasie entwickeln, so lebendig sein.“

Evgenia ist heute eine der besten Hip-Hop- und Breakdance-Tänzerinnen in Wien, erzählt die Mutter – nicht ohne Stolz. Aber nicht nur das: Sie hat vor zwei Jahren an einem Wiener Gymnasium maturiert, seit vergangenem Herbst studiert sie nun Ernährungswissenschaften an der Wiener Universität.

Es war natürlich nicht immer leicht für Evi. Die Lehrerin in der Volksschule ignorierte sie – sie kam mit der Behinderung der Schülerin nicht zurecht. Auch neue Freunde zu finden war schwierig. Und ihre Familie musste gegen nicht wenige Widerstände kämpfen: „Für Eltern aus einem anderen Land ist es noch schwieriger, da die Behördenwege in Österreich unüberschaubar sind“, erklärt Schwerhörigenlehrer Egger.

Die Erfahrungen mit schwerhörigen und gehörlosen Menschen hat auch Monika Haider, Geschäftsführerin von „Equalizent“, gemacht. Dieses Qualifikationszentrum steht für Gehörlosigkeit, Gebärdensprache, Schwerhörigkeit, aber auch für Diversity Management. Von Teamentwicklung über Berufsorientierung in Gebärdensprache bis hin zu Schulungen im Rahmen verschiedener Lehrgänge und Kurse – all diese Angebote stehen Interessierten zur Verfügung.

Zweisprachiger Unterricht

Das Team von Equalizent berät und unterrichtet in zwei Sprachen: in österreichischer Gebärdensprache, welche erst seit 2005 staatlich anerkannt ist – und auch in gesprochenem Deutsch. Und das Publikum? „Zu uns kommen auch gehörlose Menschen mit Migrationshintergrund. Sie wollen in erster Linie die österreichische Gebärdensprache lernen“, erzählt Haider.

Die schwerhörige Evgenia Guenova kommt mit ihrem Leben mittlerweile gut zurecht, ob mit Tanzen oder Schauspielen. Ans Aufgeben denkt sie jedenfalls niemals, wie sie in ihrem Gedicht zum Ausdruck gibt: „Niemals lasse ich mich von anderen fertig machen. Niemals weine ich deswegen, denn hier bin ich zum Lachen.“

(JOSIPA CRNOJA, „Die Presse“, Print-Ausgabe, 02.07.2008)


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