Wenn Christen ihrer Religion den Rücken kehren

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AUF EINEN BLICK
  • Eine Übersicht, wie viele Menschen in Österreich von einem Glauben zum anderen übertreten, gibt es nicht. Statistik Austria erhebt bloß, wie viele Mitglieder die einzelnen Glaubensgemeinschaften haben. Demnach sind 5,9 Millionen römisch katholische Christen, 376.000 sind evangelisch, 339.000 Muslime und 8140 Juden. Knapp eine Million ist ohne Bekenntnis.

07.05.2008 | 11:27 | Günes Koc

Warum katholische Österreicher konvertieren, wie sich ihr Leben dadurch verändert hat und was sie im österreichischen Alltag erleben können.

WIEN. Die Wandlung kam auf Raten und der Sinneswandel rückte immer näher, bis er eines Tages Realität wurde: Das ist die Geschichte einer Kärntnerin, die schließlich vom Christentum zum Islam konvertieren soll.

Irgendwie hat sich dieses „Weg von den Wurzeln“ einfach ergeben, auch wenn die Suche nach den neuen Wurzeln aus heutiger Sicht als logischer und stimmiger Weg erscheint, jedenfalls für die Betroffene. Stück um Stück hat sie sich dem Islam genähert, „ohne dabei alle früheren Überzeugungen aufgegeben zu haben“.

Andrea Saleh ist in Kärnten geboren und nach Wien übersiedelt. Saleh ist Obfrau des Forums „muslimische Frauen Österreich“ und Sekretärin am Islamischen Gymnasium in Wien. Am Anfang stand das Interesse für das Weltbild, das der Islam transportiert. Viele Gespräche mit ägyptischen Freunden haben ihre Kenntnis vertieft, auch ihre Nähe zur islamischen Kultur. Sie begann, kein Schweinefleisch mehr zu essen und im Ramadan zu fasten. Anfangs war der Hauptgrund dafür „einfach nur ein Solidaritätsgefühl mit meinen muslimischen Freunden“. Erst nachdem sie ihren damaligen Mann, der ebenfalls aus Ägypten stammt, kennen gelernt hat, entschloss sie sich, zum Islam überzutreten – um, wie sie sagt, „den gemeinsamen Weg mit ihm zu gehen“.

Kopftuch nach acht Jahren

Acht weitere Jahre sollte es dauern, dass die gebürtige Kärntnerin begann, ein Kopftuch zu tragen. „Oft ist es keine leichte Entscheidung für eine Frau, ein Kopftuch zu tragen – oder eben auch nicht. Viele ringen sehr mit ihrem Gewissen, weil man ja auch weiß, dass man hierzulande mit Ressentiments rechnen muss.“

Und damit wurde sie sehr bald konfrontiert: „Wir waren mit Freundinnen unterwegs – spazieren an der Donau. Damals trug ich nur eine Haube. Im Aufzug in der U-Bahn hörten wir dann, wir sollten ,dorthin zurückgehen, wo wir herkommen‘. Ein Mann hat sogar gesagt, wir gehörten ins KZ.“ Nicht selten werde „angenommen, Frauen mit Kopftuch können nicht Deutsch und verstehen die Beschimpfungen nicht. Vielleicht ist das der Grund, weshalb Menschen derartige Ungeheuerlichkeiten so leicht über die Lippen kommen.“

Mehr soziale Wärme

Noch ein Erlebnis hat sich im Gedächtnis der muslimischen Österreicherin eingeprägt, wieder ist es eine Momentaufnahme aus der Wiener U-Bahn. Diesmal setzte ein Ehepaar zu einer Schimpftirade an. „Gott sei Dank sind nicht alle Attacken so massiv. Viele lassen sich auch auf ein Gespräch ein und hören dann zu.“ Und die positiven Erlebnisse, die gebe es dann ja auch noch.

Warum also konvertiert? „Es gibt mehr menschliche Nähe in muslimischen Gesellschaften, unter praktizierenden Muslimen, gewissermaßen eine ,soziale Wärme‘“, so Saleh. Sie sagt weiter, dass „im Westen Christentum nur über die Institutionen und im beschränkten Rahmen“ praktiziert werde. „Die Menschen sind sehr individualisiert, Religion hat kaum noch Gemeinschaftscharakter.“

Nicht für alle Glaubenden, die aus einer christlichen Kirche austreten, ist dies damit verbunden, dass sie in eine andere eintreten. „Wenn man Buddhist wird, tritt man nicht in eine Kirche ein“, berichtet Thomas M. Fiedler. Der allein erziehende Vater war jahrelang Vorsitzender der buddhistischen Gemeinde und ist immer noch Leiter des religiösen Dialogs. Selbst für ihn ist es schwierig abzuschätzen, wie viele Buddhisten es hierzulande gibt. „Hochrechnungen gehen von etwa 4000 aus.“

Er sei, erzählt er, seit 1993 praktizierender Buddhist. Schon mit 16 hat er begonnen, herkömmliche Antworten auf die Sinnfrage in Frage zu stellen, wesentlichen Einfluss auf ihn hatte „Siddharta“ von Hermann Hesse.

„Es geht um die Gegenwart“

„Ich habe mich mit der Idee des Christentums, nach dem Tod ins Paradies zu gelangen, nie anfreunden können“, sagt Fiedler. Im Buddhismus gehe es um die Gegenwart und darum, „was man im jetzigen Leben macht; wie man mit den anderen umgeht“.

Von der Suche nach einer Erleuchtung hat er sich bald verabschiedet. „Im Buddhismus kann man sich durch Meditation vom ständigen Sich-im-Kreis-drehen zwischen Vergangenheit und Zukunft befreien und den Moment bewusst wahrnehmen“, meint er.

Unschwer ist ihm aufgefallen, dass es auch Menschen gibt, die zum Buddhismus konvertiert sind, weil sie es für schlichtweg „schick“ finden. Allerdings bildeten sie nur eine verschwindende Minderheit.

Tatsache ist für Fiedler jedenfalls, dass die christliche Mehrheitsgesellschaft mit Buddhisten anders umgehe als etwa mit Muslimen. Fiedler: „Es wissen zwar wenige Menschen etwas Genaues über den Buddhismus. Aber grundsätzlich haben die Leute positive Gefühle.“ Buddhismus stehe für die meisten gleichbedeutend für Friedfertigkeit und Vertrauenswürdigkeit.

Das mache das Anderssein deutlich einfacher.

(GÜNES KOÇ, „Die Presse“, Print-Ausgabe, 07.05.2008)


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