Buchrezension: Grundzüge eines modernen Islam

BUCH
  • Islam ist Barmherzigkeit
  • Grundzüge einer modernen Religion
  • Khorchide Mouhanad
  • Gebunden
  • 220 S. 21 cm 348g , in deutscher Sprache.
  • € 19,60

31.10.2012 | 14:14 | Hülya Tektas

Theologe Mouhanad Khorchide zeigt in seinem Buch „Islam ist Barmherzigkeit“ unter anderem, warum islamische Extremisten und Islamkritiker Ähnlichkeiten haben.

Wien. Wie kann ein Buch, das nach islamischem Glauben im siebenten Jahrhundert von Gott an die Menschen gesandt wurde, heute verstanden und angewandt werden? Das ist die zentrale Frage, die Mouhanad Khorchide in seinem neuen Buch stellt. Der islamische Theologe zeigt dabei anhand von Koransuren, was wohl die wahren Botschaften von Gott waren, der mit den Menschen mittels Koran kommunizierte. Und der sie dabei zur Teilnahme an seiner Gemeinschaft der Liebe einlud.

Der Islamwissenschaftler, der derzeit an der Universität Münster für die Ausbildung von Religionslehrern zuständig ist, stellt auch die Frage, warum unter Moslems das Bild von einem restriktiven und bestrafenden Gott existiert. Denn ausgerechnet im Koran, der von Moslems als Gottes Wort gesehen wird, beginnen 113 der 114 Suren mit einem Satz – „Im Namen Gottes, des Allbarmherzigen, des Allerbarmers“.

Khorchide stellt die These auf, dass der Koran sowohl von konservativen als auch von liberalen Moslems oft auf unterschiedliche Weise falsch interpretiert wird: Die einen beziehen sich auf die wortwörtliche Übersetzung und vergessen dabei die mythische Eigenschaft, mit der sich Gott den Menschen offenbart. Die anderen wiederum reduzieren ihn auf ein Buch, das je nach Zeit und Lage anders interpretiert werden – und schließlich alles und nichts aussagen kann.

Todesstrafe und Frauen

Weiters geht er auf die aus heutiger Sicht umstrittenen Stellen im Koran ein, die von Islamkritikern ebenso wie von fundamentalistischen Muslimen missbraucht werden. Das sind etwa jene Verse über die Todesstrafe, die Beziehung zu anderen Religionen und die Stellung der Frau. Anhand von humanistischer Koranhermeneutik versucht Khorchide zu klären, warum gerade diese Verse für die damalige Stammesgesellschaften in Saudiarabien revolutionär waren. Heutige Moslems müssten den Koran demnach im historischen Kontext betrachten, seine Kernaussagen seien jedoch zeitlos.

Schließlich wird im letzten Kapitel des Buches das Thema behandelt, wie die islamische Theologie heute aussehen sollte: eine von Ideologien und Dogmen freie Islamtheologie, die den Menschen ins Zentrum stellt. Die moderne Islamtheologie soll das Verhältnis zwischen Gott und Menschen als Freiheitsbeziehung und den Koran als einen Dialogversuch Gottes mit den Menschen betrachten.

Khorchide zeichnet ein umfassendes Bild des Islam, das die meisten Moslems heute selbst nicht kennen. Ähnlich wie in einem Kriminalroman geht es darum, die so oft falsch verstandenen Teile des Korans wie ein Puzzle zusammenzuführen. Hinter jedem Koranzitat versteckt sich ein Indiz dafür, was Khorchide als die wahren Inhalte und Botschaften des Korans sieht.

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 31.10.2012)


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