„Ich sehe den Untergang des Augustin nicht“

26.07.2012 | 17:12 | Robert Erlachner

Interview. Ende Mai verkündete die Straßenzeitung „Augustin“, dass sie in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken. 100.000 Euro fehlten dem Medium für den gesicherten Fortbestand der 14-tägig erscheinenden Zeitung und der Weiterführung der durch den Verkauf finanzierten Sozialprojekte. Mit der Aktion „Augustin-LiebhaberInnen“ hat man nun 333 UnterstützerInnen gefunden, die dem Blatt monatlich 25 Euro zukommen lassen. Über die Hintergründe der finanzielle Schieflage, die Situation der „Augustin“-Kolporteure, das Bettelverbot und die Zukunft des Blattes sprach M-MEDIA mit Eva Rohrmoser (seit 2002 Sozialarbeiterin beim Augustin) und Reinhold Schachner (Redakteur beim Augustin seit 2005). Das Interview führte Robert Erlachner.

M-MEDIA: Der „Augustin“ hat mit seiner „Augustin_LiebhaberInnen“-Aktion die benötigten 333 UnterstützerInnen gefunden. Wie kam es überhaupt zu dieser schwierigen finanziellen Situation?

Eva Rohrmoser: Wir bemerken schon seit Jahren einen leichten, aber kontinuierlichen Verkaufsrückgang. Wir haben gute Jahre gehabt, in denen wir Geld sparen konnten. In den letzten Jahren haben wir aber die Reserven aufgebraucht. Vor allem in den letzten Monaten war ein extremer Abfall der Verkaufszahlen zu bemerken. Zuletzt ist es einfach prekär und eng geworden. Wir mussten etwas tun und deshalb sind wir zu diesem „LiebhaberInnen“-Aktion gekommen.

M-MEDIA: Hat also das Gesamtprojekt Augustin – also sowohl das Printmedium als auch die Finanzierung und Durchführung eurer sozialen Projekte auf dem Spiel gestanden?

Eva Rohrmoser: Ja. Wir finanzieren uns zu über 90 % von den Einnahmen dieser Zeitung und dem Verkauf unserer hausinternen Produkte wie T-Shirts und CDs. Die restlichen 10 % machen Spenden und Annoncen aus.

M-MEDIA: Wie erklärt ihr euch den Verkaufsrückgang?

Eva Rohrmoser: Viele Printmedien haben derzeit mit Verkaufsrückgängen zu kämpfen. Dies steht möglicherweise direkt mit dem Internet in Verbindung. Die Leute haben generell weniger Geld zur Verfügung. Unsere KundInnen sind erfahrungsgemäß ja nicht so gut betucht. Dann gibt es natürlich den Vorwurf, dass die Zeitung aufgrund der Gendersensiblen Schreibweise nicht lesbar ist. Auch mit unserer VerkäuferInnenstruktur kann der Rückgang erklärt werden. Das Roma und Sinti Bashing ist in Österreich wieder aktuell. Damit werden die KundInnen verunsichert. Bei wem kann ich kaufen, bei wem nicht? Letztes Jahr war der Vorfall mit den gefälschten Zeitungen, welcher zusätzlich Verunsicherung ausgelöst hat. Es gibt also ganz viele, ganz unterschiedliche Erklärungsansätze. Wir sind auf der Suche und werden eines nach dem anderen abarbeiten.

Reinhard Schachner: In gewissem Sinne wird unseren KolporteurInnen das Verkaufen verleidet. Die Spenden-Bereitschaft der Bevölkerung ist nicht mehr so groß. Auch die Bereitschaft zur Unterscheidung, ob man einem registrierten Verkäufer gegenübersteht oder nicht ist gesunken. Hier wird gleich mal ein Bogen gemacht, egal ob die Leute jetzt betteln oder Zeitung verkaufen. Dass die Menschen auf Distanz gehen färbt in Folge dessen dann auch auf unsere KolporteurInnen ab. Dass das Geschäft nicht mehr so läuft bekommen diese als erstes zu spüren. Als zweiter Faktor kommt hinzu, dass von der Politik und in Folge dann von der Polizei – in exekutierender Form -, der Umgang mit den VerkäuferInnen extrem restriktiv geworden ist. Wir haben in den letzten Monaten wirklich einige hochabsurde Fälle präsentiert bekommen, in denen Leute, die seit Jahren ihren Stammverkaufsplatz haben, aber das Verkaufsverhalten nicht geändert haben, plötzlich Strafverfügungen bekommen, weil sie gegen Bettelparagraphen, gegen das Bettelgesetz bzw. gegen die öffentliche Ordnung verstoßen würden. Das kommt jetzt gehäuft.

M-MEDIA: Also wird der Verkauf der Zeitung teilweise als Betteln ausgelegt?

Reinhard Schachner: Ja genau. Dabei bleibt es aber nicht. Es wird nicht nur auf aggressives Betteln beschränkt, sondern wird auch noch als Störung der öffentlichen Ordnung ausgelegt. Da hat man gleich zwei Strafverfügungen über jeweils € 150.

M-MEDIA: Was macht ihr dagegen?

Reinhard Schachner: Wenn die Leute mit solchen Verfügungen zu uns kommen, dann nehmen wir uns der Sache selbstverständlich an. Nicht nur publizistisch sondern auch in rechtlicher Hinsicht. Da werden natürlich Einsprüche gemacht. Aber diese restriktiven Rahmenbedingungen sprechen sich unter unseren KolporteurInnen herum. Da hinterfragt man natürlich die eigene Tätigkeit und man bekommt mit, dass das Zeitungen verkaufen nicht mehr so leicht geht wie früher.

Eva Rohmoser: Es hängt mit diesen Strukturen zusammen, die sich in den letzen Jahren aufgebaut haben. Das Bettelverbot hat für niemanden etwas gebracht – egal ob für Exekutive, registrierte VerkäuferInnen, BettlerInnen oder PassantInnen. Aber es wird vehement verteidigt. Es schleifen sich Strukturen ein, die im Grunde nichts bringen, aber repressiv wirken. Ich habe den Eindruck, dass vor dem Verbot des gewerbsmäßigen Bettelns, die BettlerInnen sich ihr Platzerl gesucht haben und dort bleiben konnten. Nachdem sie jetzt dreimal dort gesehen oder erwischt werden, bleiben sie nicht mehr auf einem Platz. Sie müssen durch die Stadt wandern.

M-MEDIA: Kann man sagen, dass erst durch dieses Verbot die BettlerInnen noch mehr sichtbar werden?

Eva Rohrmoser: Genau. Die BettlerInnen sind nun gewissermaßen gezwungen mobiler zu werden. Damit werden sie auch sichtbarer für die Öffentlichkeit. Erstens müssen sie immer in Bewegung sein, um nicht einer Polizeiwache in die Hände zu fallen. Zweitens müssen sie nun einfach hoch frequentierte Plätze aufsuchen. Um möglichst viele Leute anzusprechen sind das nunmal Einkaufstraßen, Beisel und Schanigärten.

Reinhard Schachner: Das ist natürlich ein super Stoff für die Boulevardmedien. Das Gesetz schafft dann erst deren Inhalte. Dann erhält das Thema eine breite Präsenz und dringt in die Wahrnehmung der Menschen ein. Mit dem Schlagwort „aggressives Betteln“ ist man nicht mehr weit entfernt vom Konstrukt der „Bettelmafia“. Und es ist klar, dass eine Boulevardpresse für ihre Verkaufszahlen immer wieder solche Konstrukte braucht. Jetzt ist das Thema ,Betteln‘ so interessant. Vor nicht allzu langer Zeit waren die „schwarzen Drogendealer“ für ein paar Jahre der Sündenbock der Boulevardpresse und auch für die Politik. Gesetze wie der große ,Lauschangriff‘ sind damit einhergegangen. Irgendwann hat das wieder abgenommen. Meinem Eindruck nach war dann eine Pause. Dann kamen die „georgischen Einbrecherbanden“ und Leute mit osteuropäischer Herkunft haben den Schwarzen Peter zugespielt bekommen. Nun hat man die „Bettelmafia“ entdeckt.

M-MEDIA: Zurück zu euren KolporteurInnen: Habt ihr genaue Zahlen, um wieviele Strafmaßnahmen handelt es sich da? Gibt es Zahlen?

Eva Rohrmoser: Nein, wir erfahren nicht von allen Geschichten, da die Leute Kontrollen und Bestrafungen nicht mehr als diskriminierend erleben, weil es für sie bereits zum Alltag geworden ist. Es ist für die Leute bereits Normalität, dass sie am Tag dreimal kontrolliert werden.

Reinhard Schachner: Und es gehört natürlich eine gewisse Portion Mut dazu, bei solchen Vorkommnissen zu uns zu kommen, damit wir Einsprüche und solche Fälle auch publik machen können.

M-MEDIA: In einem „Die Presse“- Zeitungsartikel sprach einer eurer Redakteure , Robert Sommer, davon, dass besonders Roma unter den Augustin-VerkäuferInnen Probleme beim Vertrieb der Zeitung hätten…

Reinhard Schachner: Nehmen wir das Beispiel mit den gefälschten Augustin-Zeitungen. Es ist für mich kein Zufall, dass dabei fünf Roma aus der Slowakei verdächtigt wurden, Augustinausgaben in der Slowakei nachdrucken zu lassen. Diese Anschuldigung hat sich als kompletter Blödsinn herausgestellt.

M-MEDIA: Hat die Stadt Wien euch finanzielle Unterstützung angeboten, etwa im Sinne des Erhalts der Medienvielfalt und der sozialen Projekte?

Reinhard Schachner: Nein. Wir gehen ganz offen damit um, dass wir kein Geld von der öffentlichen Hand nehmen und auch nie genommen haben. Das war in wirtschaftlich schwierigeren Zeit auch nie Thema für uns, da bei uns konsequent von Beginn an kolportiert wurde. Das ist bekannt in der Stadtregierung. Einen direkten Austausch auf politischer Ebene hat es in den letzten Jahren nie gegeben. Ich gehe davon aus, dass sich die zuständigen PolitikerInnen dessen völlig bewusst sind, dass wir das nicht annehmen würden und auch in Zukunft nicht werden. Interessanterweise kann sich kaum jemand vorstellen, dass wir ohne Subventionen arbeiten können.

Eva Rohrmoser: Wir wollen nicht auf die Stadt angewiesen sein, sondern auf unsere LeserInnen. Der Großteil der 333 Liebhaber sind unbekannte LeserInnen, die sich hier solidarisch erklären. Hätte uns der Herr Häupl als Privatperson eine Spende angeboten, hätten wir das akzeptiert, nicht aber von offizieller Seite der Stadt.

M-MEDIA: Wie steht es um eure Gefühlslage so kurz nach der Rettung?

Eva Rohrmoser: Das war ein Strahlen. Es war schön, diese Solidarität zu sehen und zu spüren. Dieses Feedback zu bekommen hat uns allen wahnsinnig gut getan und uns einen Energieschub gegeben.

M-MEDIA: Wie blickt ihr in die kurz- und mittelfristige Zukunft? Habt ihr schon Strategien?

Reinhard Schachner: Wir sind jetzt auf dem Punkt, wo eine Reflexionsphase eingesetzt hat, was unsere wirtschaftliche Situation anbelangt. Aber es ist jetzt einfach noch zu frisch, um gleich überzuspringen in mittel- oder langfristige Strategien. Generell habe ich aber ein bisschen die naive Hoffnung, dass eine Renaissance der Printmedien kommt.

Eva Rohrmoser: Durch unsere LiebhaberInnen können wir uns jetzt die nötige Zeit für Überlegungen nehmen, um nachhaltige Dinge zu entwickeln und keine Schnellschlüsse ziehen zu müssen. Eine unserer großen Stärken liegt in der Qualität unseres Teams. Weil sich dieses Team aus so vielen unterschiedlichen Menschen zusammensetzt, besitzen wir ein großes kreatives Potenzial, um auf Ideen zu kommen, die uns letztendlich retten werden. Ich sehe den Untergang des Augustin überhaupt nicht.

 


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