Kulturelle Vielfalt: Österreichs Rundfunk deutlich hinterher
- Vielfalt im TV: Österreichs öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist in Sachen kulturelle Vielfalt noch nicht so weit wie Deutschland, klagen Experten. Zwar beschäftige sich der ORF in der Public Value Diskussion mit dem Thema, doch fehlt etwa nach wie vor ein Integrationsbeauftragter. Medienexperten fordern zudem, dass künftig mehr Journalisten mit Migrationshintergrund im österreichischen Rundfunk beschäftigt werden.
29.09.2011 | 8:10 | Ania Haar
Im internationalen Vergleich steckt die mediale Integration beim ORF noch in den Kinderschuhen. Deutschland ist dort viel weiter und zeigt dass kulturelle Vielfalt im öffentlichen Rundfunk möglich ist.
Wien. In Sachen kulturelle Vielfalt und mediale Integration stecken Österreichs öffentlich rechtliche Medien noch in den Kinderschuhen – vor allem im Vergleich zu anderen Ländern. Denn Erfahrungen, etwa aus Deutschland zeigen, dass mediale Integration und kulturelle Vielfalt im öffentlichen Rundfunk möglich sind.
„Ich bin seit 2003 Integrationsbeauftragter beim Westdeutschen Rundfunk“, sagt Gualtiero Zambonini, „seitdem hat sich viel verändert“. Zum fünfzigsten Jubiläum des Anwerbeabkommens zwischen der Türkei und Deutschland laufe etwa bei der ARD, kurz vor der Tagesschau, eine Reportage über die Wege der Gastarbeiter. „Vor fünf Jahren wäre das noch undenkbar gewesen“, meint Zambonini, „das Thema Migration ist nicht mehr so problembeladen“.
Eine aktuelle Studie von ARD/ZDF zeigt die Veränderung der Mediennutzung: Die Mehrheit der Migranten in Deutschland nutzt mittlerweile bevorzugt deutschsprachige Medien. Auch für Helmut Reitze, stellvertretender Vorsitzender der ARD-/ZDF-Kommission, sind die Ergebnisse dieser Studie die Bestätigung für die deutsche Strategie: die Realität der Einwanderungsgesellschaft in allen Programmen, Informationssendungen und Fernsehfilmproduktionen zu zeigen. „Obwohl wir noch am Anfang stehen und manches beim Alten geblieben ist“, meint Zambonini, „vieles hat sich positiv geändert“.
Mehr Migranten in den Medien
Oft wird eine Maßnahme ins Spiel gebracht, um mehr kulturelle Vielfalt zu bekommen – nämlich Migranten in den Medien einzubinden. Aber können diese paar Mitarbeiter tatsächlich zur Integration beitragen? „Sie können es, aber es ist eine komplexe und komplizierte Forschungsfrage“, sagt Reiner Geißler, Soziologe an der Universität Siegen. „Vor zehn Jahren hat man in Deutschland über das Thema nicht einmal geredet.“ 2001 hat Geißler zusammen mit Horst Pöttker den Begriff „mediale Integration“ geprägt. Dabei handelt es sich, vereinfacht gesagt, um eine wissenschaftliche Analyse der Rolle der Massenmedien bei der Integration. „Es ist nicht allein eine Frage der Beteiligung von Migranten in den Medien“, betont Geißler, „diese ist aber eine unabdingbare Voraussetzung für die mediale Integration“.
Mediale Integration findet in zwei weiteren Bereichen statt: bei der Mediennutzung und bei den Inhalten. Bis zum Ende der 1990er-Jahre habe in der deutschen Öffentlichkeit das Bild des „unerwünschten Ausländers“ dominiert, zehn Jahre später wird vor allem über Einwanderer und deren notwendige Integration gesprochen.
Und wie schaut es beim ORF aus? „Dem ORF sind Vielfalt und Diversität sehr wichtig“, sagt Konrad Mitschka, Personalverantwortlicher im ORF. „Dies zeigt sich in seinen Programmrichtlinien oder im Leitbild, selbstverständlich auch im täglichen Programm.“ Das sieht Petra Herczeg, Forscherin am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaften der Uni Wien, anders. „Die dreißig Minuten Vielfalt am Sonntagnachmittag (,Heimat, fremde Heimat‘) und ,Wien heute‘ auf Okto“, sagt sie, „sind viel zu wenig“. Diversität müsse im gesamten Programm sichtbar sein. Dafür fehle es aber im ORF an konkreten Umsetzungen. Im Gegensatz dazu sei Diversität etwa in Großbritannien, Kanada und Frankreich gesetzlich verankert.
Ein Beispiel: Wie viele Mitarbeiter mit Migrationshintergrund im ORF tätig sind, ist nicht bekannt. Die Erklärung: Die Daten können nicht erhoben werden, da der ORF nicht den Geburtsort der Eltern der Bewerber abfragt.
Nicht nur Integration
Kommunikationswissenschaftlerin Herczeg hält es dennoch für wichtig, die Gesellschaft in ihrer Zusammensetzung in den Medien darzustellen. Journalisten mit Migrationshintergrund würden für kulturelle Vielfalt sorgen und unterschiedliche Perspektiven einbringen. Allerdings dürfe man dabei einen Fehler nicht machen: „Es kann nicht sein, dass Journalisten mit Migrationshintergrund automatisch auf die Integrationsthemen reduziert werden.“
Wäre eine Quotenregelung sinnvoll? „Aus meiner Sicht ist Quote nur ein Teil“, meint Herczeg, „aber zu wenig, denn durch die Quote allein kann das Problem nicht gelöst werden“. Die ersten Schritte einer positiven Entwicklung könne man aber bereits beobachten, meint Herczeg, „mit der Public Value Diskussion versucht der ORF, sich mit dem Thema zu beschäftigen“. Einen eigenen Integrationsbeauftragten hat Österreichs öffentlich-rechtlicher Rundfunk aber bis heute nicht.
(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 28.09.2011)