Der „Terrorist“, dessen Tod sie jetzt beweinen
- "Im Niltal wollte ich herausfinden, was das für Männer waren, die diese alte Hochkultur begründet hatten, die schon 5000 v. Chr. Entstand.diese Reise war für afrikanische Denker, die auf der Suche nach wissenschaftlichen Beweisen sind, die es ermöglichen, die anmaßende Behauptung weißer Propagandisten zu widerlegen, dass die Zivilisation ihren Ursprung in Europa habe und dass die Afrikaner über keine vergleichbar reiche Vergangenheit verfügten." Nelson Mandela, in Bekenntnisse, S. 94-95
11.12.2013 | 16:01 | simon INOU
Nelson Mandela ist tot. Alle weinen – selbst diejenigen, die den Südafrikaner vor gar nicht so langer Zeit noch als „Kriminellen“ abgestempelt haben. Vielleicht haben es viele schon vergessen, aber manche europäische Staaten und die Vereinigten Staaten haben einst an der Apartheidpolitik in Südafrika ganz gut mitverdient. Und auch österreichische Unternehmen profitierten von der jahrzehntelangen, weltweit kritisierten Politik der Rassentrennung.
Gestern versammelten sich mehrere hundert Staatschefs und Regierungsvertreter aus der ganzen Welt in Johannesburg bei der offiziellen Trauerfeier. Prominente Vertreter aus Österreich fehlten. Indien hat gleich fünf Trauertage angeordnet, Bangladesch drei, ebenso wie auch Venezuela, Äthiopien, der Südsudan, Senegal, Nigeria und mehrere andere afrikanische Staaten. In den USA, Kanada, Australien und bei der EU in Brüssel wurden die Flaggen auf Halbmast gesetzt.
Eine Würdigungslawine
Kein Afrikaner – außer vielleicht der altägyptische König RamsesII., der vor 3226 Jahren gestorben war – erweckt so viel Interesse weltweit wie Mandela. Womit hat das zu tun? Ein Freund meinte skeptisch: „Wenn die westliche Welt sich so für einen Afrikaner interessiert, dann muss irgendetwas faul sein…“ Dennoch: Moralisch und politisch hat Mandela Unglaubliches geleistet. Diese Würdigungslawine für Mandela sollte uns aber nicht vergessen lassen, dass es nicht immer so war.
Mandela war für viele europäische Länder und für die USA jahrelang ein gefährlicher Mann, ja ein Terrorist. Erst 2008 wurde sein Name von der Terroristenliste der USA gestrichen. In den Augen zahlreicher amerikanischer und europäischer Politiker war das Leben von Schwarzen nichts wert.
Diese Haltung erreichte ihren Gipfel während des Soweto-Aufstandes vom 16.Juni 1976. Der „blutigste Mittwoch der Geschichte Südafrikas“, wie die Johannesburger „Sunday Times“ einst schrieb. Niemand wird es vergessen: Polizisten, die auf Kinder schießen; Hunde, die auf Demonstranten gehetzt werden; Busse, die in Amtsgebäude rasen: Vor 37 Jahren begann in der südafrikanischen Township Soweto der Aufstand gegen das weiße Unterdrückerregime – es war der Anfang vom Ende der Apartheid.
Warum protestierten damals schwarze Kinder? Weil sie es als Demütigung empfanden, „Afrikaans“, die Sprache der Buren, als Unterrichtssprache unter Zwang lernen zu müssen. Seit 1991 wird der 16.Juni als internationaler Tag des afrikanischen Kindes anerkannt. 16 Jahre vorher, am 21.März 1960, wurden 69Schwarze, darunter acht Frauen und zehn Kinder zumeist von hinten erschossen; weitere 180 – nach anderen Angaben über 300 – Demonstranten wurden verletzt. Aus diesem Grund wurde von der UNO der 21.März zum „Internationalen Tag gegen Rassismus“ erklärt.
Griff nach der Atombombe
In den 1960er- und 1970er-Jahren war Südafrika für die Nato ein wichtiger strategischer Schauplatz für die Kontrolle der Seerouten. Das Land war auch eine Quelle wichtiger Rohstoffe wie Uran, der in der Rüstungsindustrie zum Einsatz kam. In Kooperation mit Israel entwickelte das Apartheidregime damals Atomwaffen. Im März 1975 führten die Verteidigungsminister Israels und Südafrikas, Schimon Peres und Pieter Willem Botha, Gespräche über den Verkauf israelischer Atomwaffen an Südafrika. Schließlich nahm Südafrika damals auch in der anti-kommunistischen Front einen wichtigen Platz ein.
Die Augen vor dem Geschehen im Apartheidstaat zuzudrücken, nur um Geschäfte in Südafrika machen zu können, war damals auch Praxis österreichischer Unternehmen. Zwar heftete sich auch die offizielle österreichische Außenpolitik die Menschenrechte auf ihre Fahnen, österreichische Firmen aber machten munter ihre Geschäfte, wie der Anti-Apartheid-Aktivist Walter Sauer schon 1988 kritisiert hatte.
Mehrere österreichische Unternehmen verdienten ausgezeichnet in Südafrika, so die Voest Alpine, Austria-Email, Binder & Co., Heid AG, Hinteregger, Motronic; auch Siemens Austria war bei der Entwicklung eines mobilen drahtlosen Telegrafiesystems für das südafrikanische Post- und Telegrafenamt mit dabei. Besonders interessant war der militärische Sektor. Im November 1986 unterschrieb die österreichische Gesellschaft HB Aircraft Industries einen Vertrag mit einer südafrikanischen Bank und lieferte Flugzeuge für Überwachungsaufgaben und Polizeieinsätze – natürlich in erster Linie gegen die schwarze Mehrheitsbevölkerung.
Zivilgesellschaft muckte auf
Zehn Jahren vorher verkaufte die österreichische Firma Polyair ihre Technologie für die Produktion von Plastikreifen für ein bewaffnetes Infanteriekampffahrzeug, das bei Operationen der Besatzungsmächte in Namibia und Süd-Angola zum Einsatz kam, an die südafrikanische Armee. Laut Recherchen von Walter Sauer waren österreichische Banken auch verstrickt in die Finanzierung der Apartheid.
Österreich hat eine traditionsreiche Zivilgesellschaft, die global gut vernetzt ist. Das Engagement der österreichischen Zivilgesellschaft gegen das Apartheidregime in Südafrika fing 1960 an, kurz nach dem Massaker von Sharpeville. 1976 wurde eine bundesweite Anti-Apartheid-Bewegung gegründet, die sich drei Aufgaben zum Ziel gesetzt hatte: Verbreitung von Information über die Lage in Südafrika, Namibia und in der Region; Unterstützung der Befreiungsbewegungen; Erforschung und öffentliche Anprangerung aller Formen österreichischer Kollaboration mit dem Apartheidregime.
17-jähriger Kampf
Durch vielerlei Aktivitäten wie etwa heftige Kritik an der Unterstützung Österreichs für die weißen Minderheitsregime im damaligen Rhodesien, in Namibia und Südafrika, durch Demonstrationen, kulturelle Veranstaltungen, politisches Lobbying, Spendensammlungen für Befreiungsbewegungen, humanitäre Aktionen zur Unterstützung von südafrikanischen Flüchtlingen, Informationskampagnen, Petitionen zur Freilassung inhaftierter politischer Aktivisten erreichte die österreichische Anti-Apartheid-Bewegung die breite Öffentlichkeit und zwang die österreichische Regierung und die Wirtschaft, sich in ihren Verbindungen mit Südafrika an demokratischen Werten zu orientieren.
Mit der Legalisierung des Afrikanischen Nationalkongresses ANC durch das Apartheidsregime, die Freilassung Mandelas im Februar 1990 und die Etablierung des Übergangsrats sah die österreichische Anti-Apartheid-Bewegung im November 1993 ihren Vereinszweck nach 17-jährigem Kampf erfüllt und wurde aufgelöst. Dafür entstand das renommierte Dokumentations- und Kooperationszentrum Südliches Afrikas, das inzwischen zu einem Referenzpunkt zum Thema südliches Afrika im ganzen deutschsprachigen Raum geworden ist.
Erschienen in der Tageszeitung Die Presse am 11.12.13 auf S. 26
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ORF FM4 – simon INOU über das Wirken von MANDELA am 5. Dezember 2013