Was bedeutet es in Österreich als Schwarzer zu leben?

01.05.2014 | 11:58 | simon INOU

Die Lebensrealität der Mehrheit der in Österreich lebenden Schwarzen ist viel trister und belastender, als es die Mehrheitsbevölkerung wahrhaben will. Das zum Besseren zu ändern, ist nicht nur die Aufgabe der Zivilgesellschaft.

Zuletzt ist in den heimischen Medien viel über die schwarzen Österreicherinnen und Österreicher gesprochen und geschrieben worden. Der FPÖ-Politiker Andreas Mölzer hat mit dem Wort „Neger-Konglomerat“ die Diskussion zusätzlich angeheizt. Es ist auf jeden Fall gut und wichtig, dass wir in Österreich jetzt die Diskussion über dieses N-Wort weiterführen. Wir sollten nicht vergessen, dass dieses Wort jahrelang für Generationen von Österreichern ganz normal in den Schulbüchern stand.

Viele sind mit diesem Wort sozialisiert worden. Zwar war es kein „Unwort“, aber das Österreich von heute ist nicht mehr dasselbe wie vor 50 oder 60 Jahren. Die österreichische Gesellschaft sieht „ethnisch“ inzwischen anders aus. Diese neuen Ethnizitäten bringen neue Herausforderungen mit sich: Eine neue Definition und Wahrnehmung muss her.

Respekt für Eigendefinitionen

Fremddefinitionen, deren Entstehung oft in eine menschenverachtende Vergangenheit zurückreicht, sollten durch respektvolle Eigendefinitionen ersetzt werden. Es zeigt nur eines: Unsere Gesellschaft lebt – und das ist entscheidend. Wer hätte vor fünf Jahren noch geglaubt, dass der Bundesparteiobmann der FPÖ sich in der Nachrichtensendung ZIB 2 live für die Verwendung des Wortes Neger rechtfertigen muss?

Der heutige Trend bewegt sich in Richtung Diskussion und Konsenssuche über problematische Wörter, die von einem Teil unserer Gesellschaft als beleidigend empfunden werden. Nur wenn wir diese Wörter aus unserem Wortschatz eliminieren, können wir auch anfangen, die anderen ernsthaft wahrzunehmen.

Die entscheidende Frage hier lautet: Ist unsere Mehrheitsgesellschaft im Bezug auf die Akzeptanz von Migrantinnen und Migranten aufnahmefähig? Wenn ja, warum ist es dann so schwer, die eigenen Definitionen der Migranten wahrzunehmen und zu akzeptieren, ohne wenn und aber?

Wie wir alle wissen, gibt es keinen Text ohne Kontext. Es gibt noch viel mehr zu tun, wir sind erst am Anfang, uns gegenseitig zu respektieren. Und es geht nicht um die „politische Korrektheit“, wie manche in ihrem Ghetto glauben. Es wird noch geschehen, dass auch so manche Straßen umbenannt werden müssen, weil schwarze Österreicher es einfach nicht mehr verkraften wollen, in Schulbüchern, Karikaturen, Musik oder auf Straßenschildern öffentlich erniedrigt zu werden.

Die schwarze Hautfarbe in Österreich zu tragen, ist noch immer ein gewichtiger Diskriminierungsfaktor. Das ist keine unbegründete Behauptung, sondern eine Tatsache. In den vergangenen Wochen sind mehrere Berichte und Studien erschienen, die das belegen.

Diskriminierende Behörden

Jedes Jahr gibt das amerikanische Außenministerium für alle Staaten der Welt einen Menschenrechtsbericht heraus. Heuer wird in Zusammenhang mit Österreich kritisch auf „polizeiliche Gewalt, Diskriminierung von ethnischen Minderheiten und mangelnde Gleichbehandlung“ hingewiesen. Muslime, Roma, Juden und Menschen afrikanischer Herkunft würden am häufigsten diskriminiert. Wenn es um Schwarze geht, ist das Thema ein Dauerbrenner. Seit 1999 weist das US-Außenamt auf diese Tatsache hin. Aber die österreichische Politik schweigt und bleibt passiv.

Anscheinend ist Diskriminierung in Österreich vererbbar: Der Fußballstar David Alaba, hier geboren, wird von vielen immer noch nicht als Österreicher betrachtet. Warum? Weil er eine andere Hautfarbe hat als Anhänger von rechtsgerichteten Parteien.

Am 21. März erschien der Rassismus-Report der Organisation „Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit“ (Zara). Auch die Situation von Schwarzen in Österreich wird darin thematisiert. Staatliche Institutionen wie Polizei und Justiz seien diejenigen, die Schwarze am meisten diskriminieren und ihnen das Leben schwer machen würden, heißt es da.

Die Auswirkungen von Diskriminierungen auf das Wohlbefinden des Einzelnen sind in Österreich noch gar nicht untersucht worden. In den USA ist bereits 2003 eine Metastudie – die 53 empirische Einzelstudien zusammenfasst – veröffentlicht worden. Darin heißt es zum Zusammenhang von rassistischer Diskriminierung und Gesundheit: „Das Selbstwertgefühl von Menschen, die in einer Gesellschaft marginalisiert und diskriminiert werden und die Opfer negativer Stereotypen sind, wird stark beeinträchtigt. Es ist nicht gesundheitsfördernd, ständig unter Stress leben zu müssen und kein Vertrauen mehr in schützende Institutionen haben zu können.“

Neue Untersuchungen

Jenseits von plakativen Botschaften gibt es jedoch Institutionen in Österreich, die sich um die Zukunft des Landes Sorgen machen. Um zu wissen, wie es den Schwarzen in Österreich geht, haben der Zukunftsfonds Österreich, die Integrationsplattform des Landes Steiermark, die Stadt Graz, die Universität Graz und die ETC Graz 2012 eine Untersuchung finanziert.

Die Beobachtungen von Zara werden von den Ergebnissen einer Studie der Universität Graz bestätigt. Für diese Studie wurden 717 Schwarze in den Städten Graz, Linz, Salzburg und Innsbruck befragt. Untersucht wurde die Wahrnehmung der vier Lebensbereiche Recht, Gesundheit, Arbeit und öffentlicher Raum durch die Zielpersonen: Menschen mit schwarzer Hautfarbe mit Lebensmittelpunkt in Österreich.

Ungleichheit vor dem Gesetz

Ein Drittel der Befragten gab an, von den Behörden respektlos behandelt worden zu sein. 40 Prozent der befragten Personen, die schon mit Gerichten zu tun hatten, gaben an, dort nicht angemessen respektvoll behandelt worden zu sein.

Noch schlimmer:70 Prozent glauben nicht an die Gleichheit von Menschen mit schwarzer Hautfarbe im österreichischen Rechtssystem.40 Prozent der Befragten wurden mindestens ein Mal rassistisch diskriminiert, 70 Prozent davon von Kollegen am Arbeitsplatz. 19 Prozent gaben an, auch rassistische Übergriffe erlebt zu haben, auch hier in überwiegender Mehrheit durch Kollegen.

61 Prozent der in Österreich lebenden Schwarzen empfinden, dass sie in der Öffentlichkeit durch Werbung, Medien und Personen des öffentlichen Lebens abwertend behandelt werden.62 Prozent der Befragten gaben an, als Schwarze von der Mehrheitsbevölkerung als fremd wahrgenommen zu werden. 76 Prozent hiervon empfinden diese Situation als belastend.

Das sind die Lebensrealitäten der Mehrheit von Schwarzen in Österreich. Und die gehören verändert. Das ist nicht nur die Aufgabe der Zivilgesellschaft. Diese hat in den letzten 20 Jahren sehr viel geleistet und gesellschaftliche Veränderungen initiiert und vorangetrieben. Sie macht weiter, allerdings mit wenig Ressourcen.

Ist es vielleicht so schwierig, Diskriminierungen aktiv zu begegnen, weil sich Österreich schon schwertut mit der Aufarbeitung seiner eigenen Vergangenheit?

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Artikel in Die Presse am 24. April 2014 erschienen 



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