Warum sterben afrikanische Staatschefs nur in ausländischen Spitälern?

10.09.2012 | 20:21 | simon INOU

In den letzten acht Monaten sind fünf afrikanische Staats- und Regierungschefs gestorben. Einer davon, nämlich Muammar Gaddafi, wurde während der libyschen Besetzung durch die Rebellen, unterstützt von der NATO getötet. Vier sind in Amt gestorben, drei davon in ausländischen Spitälern. Ein Indiz dafür, dass Gesundheitsinstitutionen am Kontinent nicht zu vertrauen ist?

Vor siebzehn Tagen starb Meles Zenawi, der Premierminister Äthiopiens, in einem Brüsseler Krankenhaus. Er hatte sein Land von 1995 bis zu seinem Tod als Premier geführt. Meles Zenawi ist der fünfte afrikanische Regierungschef, der dieses Jahr gestorben ist. Vier Wochen vor ihm, am 24. Juli 2012, starb John Atta Mills, der Präsident von Ghana, in einem militärischen Krankenhaus in Ghana. Eine Seltenheit am Kontinent, da seit 2005 zehn afrikanische Staatschef bzw. Premierminister im Amt gestorben sind. Acht davon in europäischen und US-amerikanischen Krankenhäusern bzw. in Spitälern im Mittleren Osten oder auch in Südafrika.

80% der verstorbenen Präsidenten, Regierungsmitglieder und Führungselite ließ sich nicht im eigenen Land  von eigenen Ärzten in eigenen Krankenhäusern behandeln. Vor John Atta Mills war Malawis Präsidenten Bingo Wa Mutharika an der Reihe. Nach einem Herzinfarkt wurde er in ein südafrikanisches Krankenhaus eingeflogen, wo er letztlich starb. Im Januar dieses Jahres starb Malam Bacai Santa, Präsident von Guinea Bissau, in einem Pariser Krankenhaus. Er verbrachte die meiste Zeit seines Amtes nur in ausländischen Krankenhäusern.

Im Jahre 2010 starb den nigerianischen Präsidenten Umaru Musa Yar´Adua. Am 23. November 2009 verließ er sein Land, um sich in Saudi Arabien behandeln zu lassen, wo er auch bis zum 24. Februar 2010 blieb. Am 5. Mai 2010 starb er im nigerianischen Präsidentenpalast.

Im Jahre 2009 starb der damalige längstdienende Staatschef Afrikas, Omar Bongo von Gabun, an Krebs in einem Spital in Barcelona. Der von Frankreich unterstützte Diktator eines kleinen erdölreichen Landes dirigierte 42 Jahre lang sein Land und war unfähig, ein gut funktionierendes Krankenhaus im eigenen Land aufzubauen, in dem er sich selbst behandeln lassen würde. So wie auch der ehemalige Diktator von Togo, Oberst Gnassingbe Eyadema, der sein Land und seine Landsleute 38 Jahre lang terrorisierte. Frühmorgens am 5. Februar 2005 erlitt er einen Herzinfarkt. Statt qualifizierte Ärzte aus dem eigenen Land für seine Rettung zu holen, bevorzugte er es, nach Europa zu flüchten. Er starb allerdings, während die Boeing 707 Tunesien überflog.

Wie groß muss wohl das Misstrauen gegenüber dem eigenen Gesundheitssystem und der Ärzte im Land sein, dass ein Diktator das Land, das er selbst regiert hat, verlässt, um für eine Herzinfarkt-Behandlung 6000 km zu fliegen?

Mehrere Berichte nationaler sowie internationaler Organisationen stufen 3/4 des gesamten afrikanischen Gesundheitssystems als missgemanagt und misserwirtschaftet ein. Außer Südafrika ist das Gesundheitssystem in ganz Afrika mindestens problematisch. Im Jahre 2002 veröffentlichte die WHO „The Health of The People“, den ersten Bericht zur gesamten Gesundheitssituation von 748 Millionen AfrikanerInnen. Fazit: Das Gesundheitssystem ist in vielen Ländern ein Selbstzahlersystem. Es gibt nur in wenigen Ländern Krankenversicherungen. Staatliche Krankenhäuser gibt es in den größeren Städten, allerdings müssen die Patienten für die Aufnahme ins Krankenhaus, für das Essen, sowie für Unterkunft, Medikamente und notwendigen medizinischen Behandlungen aber auch für ärztliche Konsultationen zahlen. Im ländlichen Raum ist die Situation noch katastrophaler. Die medizinische Ausstattung ist ungenügend, es gibt zu wenig Medikamente und keine Infrastruktur. Zwangsläufig verzichten viele Menschen auf eine medizinische Behandlung, weil sie sich diese einfach nicht leisten können. Die Afrikanische Union zeichnet in ihrem Bericht “ Strengthening of Health Systems for Equity and Development in Africa 2007-2015“ ein ähnliches Bild. Es ist eine Realität, dass im heutigen Afrika oft nur diejenigen, die über viel Geld und gute Beziehungen verfügen, eine vernünftige Behandlung bekommen können. Eine tragische Erkenntnis über einen Kontinent, der von einer korrupten diktatorischen Elite und unterstützt von westlichen Demokratien ruiniert wird. Afrika ist ein Kontinent, dessen Bodenschätze mit viel Engagement ausgebeutet werden, während die Gesundheit der Bevölkerung zerstört wird.

Nigeria, ein Land mit rund 150 Millionen Menschen, ist mit 2,1 Millionen Barrel pro Tag der größte Ölproduzent Afrikas. Trotz des Ölreichtums gehört, Studien der Weltbank zufolge, die Bevölkerung zu den ärmsten und die Infrastruktur zu den schlechtesten der Welt  Gabun besitzt ungeheure Reichtümer: Erdöl, Uran, Mangan, Eisenherz, Edelhölzer. Der gabunische Boden ist fruchtbar. Eine gut geführte Agrarwirtschaft könnte die 1,3 Millionen Einwohner des Landes sehr gut ernähren. Im Prinzip könnten sie in Wohlstand leben. Trotzdem sind die Krankenhäuser in einem miserablen Zustand. Ein anderer tragischer Fall ist Kamerun. In 30 Jahren Amtszeit hat der immer noch regierend Diktator Paul Biya es geschafft, das Gesundheitssystem zu zerstören. In einem Land mit 0,19 Ärzten pro 1000 Einwohnern (Österreich hatte 2010 4,7 berufsausübende Ärzte pro 1000 Einwohner) ist die Ausbildung, um Arzt zu werden, eine der selektivsten des Kontinents. Auch hier gilt wieder, dass jenen, deren Verwandte und Eltern ein dickes Portemonnaie besitzen, Tür und Tor geöffnet werden. Ein Paradoxon: Denn die Bevölkerung Kameruns braucht dringend mehr Ärzte um die Gesundheit der Menschen zu gewährleisten. Leider werden junge, interessierte Menschen vom Staat durch selektive Aufnahmeverfahren daran gehindert, diese Missstände zu verbessern.

Der aktuelle Trend geht in Richtung Brain Drain. Viele Ärzte und Gesundheitsfachkräfte, die in einem afrikanischen Land ausgebildet werden, verlassen ihre Länder, um gute Aussichten in europäischen oder nordamerikanischen Ländern zu finden. Die erste systematische Studie zu diesem Thema wurde von der US-Amerikanischen Institution Center for Global Development im Jahre 2006 durchgeführt und brachte brisante Erkenntnisse zu Tage. Vom afrikanischen Kontinent emigrieren jedes Jahr 20.000 medizinische Fachkräfte (Ärzte, Krankenschwestern, Hebammen etc.) nach Europa und in die Vereinigten Staaten. In Großbritannien arbeiten zurzeit mehr Ärzte aus Malawi als in Malawi selbst. In Washington DC gibt es mehr äthiopische Ärzte als in Äthiopien. Eine Katastrophe für den Kontinent. Zwei Drittel der Kindern sterben an Krankheiten, die problemlos heilbar wären oder durch eine vernünftige Vorsorge hätten vermieden werden können. Dieser Brain Drain eröffnet ein breites Terrain für Entwicklungshilfe-Organisationen, die in Gesundheitsbereich spezialisiert sind, aber die das Problem nie langfristig lösen können.


2 Kommentare

  • Vladislav MARJANOVIC

    Das ist, leider, das Ergebnis eines echten sozialen Genozids, welches das herrschende neoliberales System, dem die Bezeichnung "monetäres Faschismus" besser passen würde, systematisch verübt. Ihm geht es nicht daran, das allgemeine soziale Wohlstand zu fördern, sondern ihn, im Namen des "Wachstums" abzubauen, durch Krisen und Kriegen ganze Gebiete menschenleer zu machen, um dadurch leichter Rohstoffe ausbeuten zu können. Die Förderung des "brain drain" und dabei auch des "physicians drain" ist Bestandteil dieser de facto genozidären Politik, die ihre Verfechter mit der Metastasen von dubiösen NGOs verschleiern. Zwar reten diese NGOs einigen Leben, heilen aber die wirtschaftliche und die soziale Lage nicht. Hingegen, diese wird dadurch nur verschlechtert. Man muss sich daher im Klaren sein, dass jede weitere Duldung dieser Tätigkeit, vor allem durch das Aufzwingen eines "anderen (positiven) Bild" von Afrika, Afrikanerinnen und Afrikaner diese Tragödie zu verdrängen, in der Tat ein Verrat an ihrem Kontinent, ja sogar an die Menschheit verüben. Will man eine Wende erreichen, dann muss man aufhören mit diesem verbrecherischen System und ihren, sowohl afrikanischen als auch nichtafrikanischen Kollaborateuren zusammenzuarbeiten. Die Menschheit muss sich zusammenschließen, um die Tätigkeit der Verfechter und Institutionen des herrschenden Weltsystems ein Ende zu machen. Durch Ablehnung und Boykott von vorhandenen, gleichzeitig aber durch Aufbau von alternativen, humaneren und sozialen Einrichtungen wäre es vielleicht doch möglich eine positive Wende zu schaffen. Dafür braucht man nur eine gute Dose Altruismus und Zivilcourage. Geschrieben um 18. September 2012 um 10:13 Uhr Antworten
  • Volker Seitz

    Herr Inou hat die Frage bereits sehr kenntnisreich und umfassend in seinem Artikel beantwortet.Zumindest die entwicklungspolitisch Eingeweihten wissen seit mehr als drei Jahrzehnten, dass in den Ländern Afrikas bis zu achtzig Prozent der Jugendlichen auf eine Perspektiven warten, die sie in Europa zu finden glauben.Diese Menschen wollen sich nicht mehr Regimen unterordnen, die vorgeben, die Nation, den Fortschritt oder den Wohlstand für alle zu vertreten. Leider spielen gerade in diesen Ländern die Parlamente eine untergeordnete Rolle.Seit zwanzig Jahren emigrieren z.B. afrikanische Ärzte vor allem nach Europa, USA, Kanada, Australien, Neuseeland, in die Länder des Golf oder nach Südafrika. Etwa 30 % der afrikanischen Ärzte haben ihr Heimatland verlassen. Nach dem Studium kehren nur 10 % in ihr Land zurück. Es gibt mehr Ärzte aus Sierre Leone in Chicago und mehr als 20000 nigerianische Ärzte in den Vereinigten Staaten. 95 % der angolanischen Ärzte sind in Portugal. In Ghana verlassen vom Jahrgang einer Hochschule 67 von 70 das Land. Es herrscht deshalb ein großer Ärztemangel. Während die Weltgesundheitsorganisation einen Arzt für 1000 Bewohner empfiehlt. Sind es in Mosambik 1 zu 38000, in Ghana 1 bis zu 20.000 und 1 zu 13500 in Kamerun. Manche Kliniken werden Krankenschwestern geleitet. Es fehlt an Weiterbildung. Gründe für die Auswanderung sind schlechte Arbeitsbedingungen und Bezahlung, verfallende Krankenhäuser und Bildungseinrichtungen, Rechtsunsicherheit weil das Führungspersonal die Justiz als Machtmittel nutzt, Korruption, Menschenrechtsverletzungen und mangelnde Möglichkeiten der politischen Mitsprache. Volker Seitz, Autor "Afrika wird armregiert" Geschrieben um 11. September 2012 um 09:52 Uhr Antworten

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