„Uns hat keiner geholfen“ – Opfer als Blitzableiter

28.02.2013 | 11:10 | Kerstin Kellermann

Was Kriegskinder und Nazi-Nachkommen mit Natascha Kampusch und den Flüchtlingen aus der Wiener Votivkirche  zu tun haben.

„Das sind Spione“, meint meine Mutter, die als ehemaliges Kriegskind ein sehr feines Gespür für Menschen entwickeln mußte, um zu überleben. „Diese Rechten, die sich in die Votivkirche schleichen, um die Flüchtlinge zu beobachten, das sind Spione. Die wollen spionieren, warum die Flüchtlinge so viele Menschen für sich gewinnen konnten. Die haben kein Herz.“ „Die haben kein Herz und wollen heraus finden, warum andere Leute Flüchtlingen ihr Herz schenken?“, frage ich. „Ja“, sagt meine kleine, alte Mutter, die nach wie vor unter den Schäden des zweiten Weltkrieges leidet und selber genug Obsessionen entwickelte, „die wollen nichts Böses. Die spüren ihre innere Leere und sind auf der Suche.“

Innere Leere? Kein Herz? Aber die Obsession und Konzentration (Plakate gegen eine Gruppe von 45 Menschen) und die emotionale Verfolgung, die manche FPÖ-ler und auch junge  Rechtsextreme nun gerade den Flüchtlingen angedeihen lassen, scheinen mir ein besonderes Phänomen zu sein. Sehr ähnlich dem, wie die Überlebende Natascha Kampusch vor kurzem den Zorn und die Wut auf sie persönlich erklärte: Das sind Menschen, die selber Schlimmes erlebten, sich aber nicht der Bearbeitung und der Auseinandersetzung stellen wollen, sondern lieber in eine Obsession kippen. „Die wollen mich ausmerzen“, sagte sie.

Trauma Attraktion und ambivalente Erziehung

Ausmerzen? Vernichten? Eine Trauma-Therapeutin könnte sagen, dass die zwanzig Prozent TäterInnenanteil, die Opfer mit sich herum schleppen, sich gegen andere Opfer wenden und die vernichten wollen. Auf diese Weise wird Selbstauflösung vorgebeugt, die innere Leere bekämpft und man muss sich nicht mit seinem eigenen Zorn auseinander setzen.

Natascha Kampusch zieht natürlich durch ihre Erlebnisse eben diese Opfer an. Sehr ähnlich wie bei den Flüchtlingen in der Wiener Votivkirche, die schlimme, großteils unbearbeitete Erlebnisse von Morden an Familienmitgliedern haben und über eigene Erfahrungen von Todesbedrohung verfügen. Wie z.B. ein sehr traurig aussehender, junger Mann aus Bangladesh, dessen Eltern entführt wurden und der 13.000 Euro zahlen sollte. Nun ist sein Vater tot und seine Mutter verschwunden. Armee oder Polizei konnten die beiden nicht vor der Mafia beschützen. Nachdem ein Onkel erschossen, ein anderer Onkel auf dem Motorrad angeschossen wurde, flüchtete der Modedesign- und Hotel Management Student. Kein Wunder also, dass diese Flüchtlinge „Trauma-Attraktion ausstrahlen“ und betroffene Menschen anziehen, die sie als Ventil oder Blitzableiter benutzen wollen.

Die FPÖ, in der einige Politiker-Kinder bzw. Enkel von „bekennenden“ Nationalsozialisten waren und daher sicher in ihrer Kindheit Ambivalenzen ausgesetzt waren, beteiligte sich übrigens sehr stark an einer möglichen Aufklärung des Todes des Kampusch-Ermittlers Franz Kröll, der ja in seiner Arbeit gemobbt wurde, und half Missbrauchs-Opfern unter den Heimkindern vom Wilhelminenberg mit einem Anwalt. Sie zeigt also Interesse an manchen Überlebenden. Aber Flüchtlinge als Opfer der Verfolgung durch die Taliban findet sie nicht so unterstützungswürdig.

Schauplatzwechsel

Bei der Flüchtlings-Demonstration auf der Mariahilfer Straße redet eine kleine alte Dame emotional auf einen Polizisten ein. Dass „in Österreich doch alles erlaubt sei“, sogar „eine Kirchenbesetzung“. Der Polizist pflichtet ihr bei. Im Gespräch stellt sich heraus, dass die Dame 1942 geboren ist und den Flüchtlingen ganz persönlich etwas vorwirft: „Wir waren im Krieg ausgebombt und mussten Hunger leiden, zu viert in einem Zimmer leben. Uns hat keiner geholfen. Wir hatten es schwer. Den Flüchtlingen in der Votivkirche will nun jeder helfen und sie nehmen keine Hilfe an, so arrogant sind die.“ Nach einer Würdigung ihres Leides zieht sie befriedigt von dannen.


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