Wie Österreich ohne Migration aussehen würde

07.12.2010 | 8:12 | Ania Haar

Keine Zuwanderung würde für Probleme am Arbeitsmarkt, weniger Bevölkerung und Verteuerung sorgen. Experten rechnen mit einem Wettbewerb um gut qualifizierte Migranten.

Ein Land ohne Migranten. Wie würde ein solches Gedankenexperiment funktionieren, welche Folgen hätte es, wenn sämtliche Migranten plötzlich aus Österreich verschwinden würden? „Kurzfristig gesehen würde einiges nicht funktionieren“, sagt Bevölkerungswissenschaftler Rainer Münz, „eine Versorgungslücke entsteht.“

Die konkreten Folgen – abseits der menschlichen Komponente – würden die gesamte Wirtschaft, das gesamte öffentliche Leben betreffen – Hotels sperren zu, Erntehelfer kommen nicht und Pflegepersonal fehlt. Für einige Zeit würde es wohl chaotisch zugehen. „Aber mittelfristig würden Substitutionseffekte eintreten“, meint Münz. Einheimische müssten dann viele unterbezahlte Jobs annehmen. Jobs, die sie jetzt niemals machen würden. „Doch nicht alles lässt sich substituieren“, sagt Migrationsforscher Heinz Fassmann vom Institut für Geographie und Regionalforschung der Uni Wien, „Sie können nicht 90 Prozent Frauen ins Arbeitsleben einbeziehen.“

Konsequent weitergedacht bedeutet das: „Langfristig gesehen kann das Fehlen der Migranten zu einer erheblichen Verteuerung in einigen Branchen führen“, erklärt Rainer Münz. Kein Billigwein mehr aus Österreich, Pflegepatienten, die von den eigenen Familien versorgt werden oder die erheblich höhere Kosten für die Pflege aufbringen müssten.

„Auf Zuwanderer angewiesen“

So viel zum Gedankenexperiment, zurück in die reale Welt. In der demografischen und ökonomischen Forschung steht fest: „Wir sind auf die Zuwanderer angewiesen, kurz- oder langfristig.“ Das sagt Albert Reiterer, Leiter des Institute for Research in Ethnic and National Issues (IRENI) in Wien. „Dass der notwendige Bevölkerungszuwachs ausschließlich der Zuwanderung zu verdanken ist, will keiner sehen.“

Es sei kein Tabuthema, dass „Österreich zu wenige Kinder hat und ohne die Migranten eine große Lücke entstehen würde“, so der Experte. Statistisch gesehen ist Österreich ohnehin längst ein Einwanderungsland. Allein seit dem Jahr 2000 ergab sich in Summe ein Anstieg der Zahl nichtösterreichischer Staatsangehöriger um rund 138.000 Menschen. Menschen, die hier auch arbeiten – ökonomisch gesehen leisten sie ihren gesellschaftlichen Beitrag. Die Teilhabe an sozialen Leistungen wolle man ihnen aber am liebsten verweigern.

Eine Einstellung, die sich rächen könnte. Denn „in Zukunft wird es einen Wettbewerb um Migranten geben“, ist sich Reiterer sicher. So würden vor allem osteuropäische Länder, aus denen viele gut qualifizierte Menschen ausgewandert sind, sich bemühen, diese Auswanderer wieder zurückzulocken. Mit Geld, aber auch mit der Aussicht, nicht als „Migrant“ abgestempelt zu werden.

„Ausländer machen einen Bogen um Deutschland“, titelte „Die Welt“. „Falls sich an der Migrationspolitik und an der Attraktivität Deutschlands nichts ändert, wird die Erwerbsbevölkerung hierzulande bis zum Jahr 2020 um gut sechs Prozent schrumpfen – mit negativen Auswirkungen für das wirtschaftliche Wachstum“, so die Prognose.

Dieser Blick in die Zukunft deutet auf ein weiteres Problem hin, das Migranten auf dem Arbeitsmarkt schlechter dastehen lässt: „Viele Migranten arbeiten unter ihren Qualifikationen“, weiß Ursula Liebing von der Salzburger „Plattform für Menschenrechte“ zu berichten. „Nostrifizierungsfragen werden von der Politik schlicht und einfach nicht ausreichend behandelt.“

Allein was die Ressourcen betrifft, lässt sich sehen, wie wenig wichtig das Thema Integration genommen wird. „Die eigentliche Integration passiert durch die ehrenamtliche Arbeit“, sagt Gerlinde Ulucinar Yentürk, Vorsitzende des Vereins Kristall, eines Zentrums für interkulturelle Beratung, „vom Land Salzburg haben wir genau 2000 Euro für die Büroräumlichkeiten bekommen“, sagt sie, „im Jahr natürlich“.

Dabei ist gerade im Bereich der Integration viel zu tun. Auf der Seite der Österreicher, die Migranten oft skeptisch gegenüberstehen. Aber auch auf der Seite der Migranten selbst – denn selbst beim Verein Kristall müsse man immer wieder schmerzhaft feststellen, dass „in vielen Fällen die Zuwanderer oder Migranten wenig Interesse zeigen, ihr sprachliches Defizit zu verringern“.

Bereitschaft zu Integration

„Selbstverständlich müssen sich die Menschen integrieren, ein Teil der Gesellschaft sein“, sagt Migrationsforscher Reiterer, „aber sie dürfen ihre Wurzeln nicht vergessen.“ Kultur- und Sozialanthropologin Sabine Strasser nennt diese Wurzeln „bewegte Zugehörigkeiten“. Sie zeigt in ihrem gleichnamigen Buch anhand biografischer Erzählungen die Perspektiven von Migranten auf die österreichische Politik und Kultur auf.

„Die Frage sollte nicht mehr lauten, was täten wir ohne Migranten? Wir brauchen sie und sie nützen uns“, so die Autorin, „das bejahen die Demografen und Ökonomen sowieso schon lange.“ Die Frage müsse eher lauten, wie man mit den Herausforderungen und dem Unbehagen in einer Gesellschaft umgeht, „in der nun mal Menschen mit verschiedenen Vorstellungen und Praktiken leben“. Eine Herausforderung, die es zu bewältigen gilt. Auf Bundesebene, aber auch in der österreichischen Kommunal- und Landespolitik. (ANIA HAAR)


ein Kommentar

  • georg holzmann

    ihr artikel ist geradezu ein musterbeispiel für einseitige berichtserstatung auserdem sind wir objektiv gesehen keineinwanderungsland Geschrieben um 24. März 2012 um 20:07 Uhr Antworten

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