Peru: „Kein OP-Termin ohne Blutspenden“

28.05.2013 | 12:38 | Milagros Martinez-Flener

Mangelwirtschaft und Bürokratie prägen den Alltag im „Hospital Edgardo Rebagliati Martins“, eines der größten und besten öffentlichen Krankenhäuser in der peruanischen Hauptstadt Lima.

 
Wien/Lima. Darmkrebs lautete die Diagnose für die Peruanerin Doris Cáceres-Findelberger und ein möglichst rascher Operationstermin musste gefunden werden. In Lima gibt es 97 private Spitäler aber die Behandlung dort ist teuer und das öffentliche Krankenhaus „Hospital Edgardo Rebagliati Martins“ genießt aufgrund seiner erfahrenen Ärzte und der zeitgemäßen technischen Ausstattung einen guten Ruf.

Das 1958 errichtete „Hospital Edgardo Rebagliati Martins“ befindet sich im Bezirk Lince, in der mehr als neun Millionen Einwohner zählenden Metropole Lima und zählt zusammen mit 31 anderen Einrichtungen zu Essalud, der Sozialen Gesundheitsversicherung Perus.

Beim Betreten wird klar, dass sich das 54 Jahre alte Krankenhaus in seinem Originalzustand befindet. Dieser Eindruck verstärkt sich noch in der Notaufnahme, wo sich die Betten der Patienten in den Sälen und entlang der Gänge aneinander Reihen. Einige der Betten sind Krankenbahren, die kürzlich in ein Bett umfunktioniert wurden und gerade wo es Platz gibt, mit einer handgeschriebenen Nummer versehen, abgestellt wurden. Nach dem Verbleib eines konkreten Patienten zu fragen, erscheint als ein sinnloses Unterfangen.

Für die Betroffene hat diese Überfüllung ein tagelanges Warten auf Behandlung zur Konsequenz. Die Warte Liste für die Aufnahme beläuft sich auf 11.000 Personen und von Monat zu Monat steigt weiter. Hinzu kommen Ärztemangel -für ganz Lima nur 6.936 im Jahr 2010- und ständige Verschiebungen geplanter OP-Termine. So auch im Fall von Cáceres-Findelberger. Laut Statistik des peruanischen Gesundheitsministeriums gab es 2011 zusammen in den privaten und öffentlichen Spitälern Limas 17.719 Krankenbetten. Bei einer Einwohnerzahl von knapp neun Millionen Einwohner. Auf nationaler Ebene stehen 45.582 Spitalbetten für ca. 30 Millionen Einwohner zur Verfügung. Zur Vergleich: in Österreich stehen den rund 8 Millionen Einwohnern etwa 64.000 Spitalbetten verteilt auf mehr als 260 Krankenhäuser, zur Verfügung (Daten aus 2008).

Eigene Blutspender

Voraussetzung für eine OP Zulassung in einem peruanischen Krankenhaus ist die Bereitstellung von Blutspender. In der Regel sind es Freunde und Verwandte, die dafür herangezogen werden. Der Grund für diese verpflichtenden Blutspenden ist der allgemeine Mangel an Blut für medizinische Zwecke in den Krankenhäusern. Obwohl die Blutbank des „Hospital Edgardo Rebagliati Martins“ die größte Perus ist, gibt es für das 1.500-Betten-Spital, nur 600 Einheiten, bei mehr als 2.200 Operationen im Monat, erklärt eine Ärztin, die nicht namentlich genannt werden will.

Rund 98% der Blutspender sind sogenannte „Auffüllungsspender“, also Menschen die nur deshalb spenden, damit ein Freund oder Angehöriger operiert werden kann. Sollte eine Katastrophe Peru heimsuchen, hätten die Spitäler mit sehr ernsten Problemen zu kämpfen. Im Juni 2011 wies Dr. Yessenia Huarcaya, Ärztin von PRONAHEBAS, der peruanischen Blutzentrale, in einem Fernsehen Interview darauf hin, dass in Peru ein Defizit vom mehr als 100.000 Bluteinheiten herrsche.

PRONAHEBAS ist für die nationale Blutbank zuständig und organisiert gemeinsam mit dem Roten Kreuz kleine Kampagnen, um die Bevölkerung zu freiwilligen Blutspenden zu motivieren. Geld für groß angelegte Kampagnen, wie in anderen Ländern Lateinamerikas üblich, ist nicht vorhanden. Das peruanische Rote Kreuz führt zusätzlich eine kleine Datenbank von Menschen, die im Notfall, bereit sind, Blut zu spenden.

Um die nationale Blutbank aufzufüllen, müssen alle Patienten denen eine Operation bevorsteht vier Spender bereitstellen. „Ohne Blutspende wird kein Patient operiert“, erläuterte der Arzt Jesus Díaz Franco, Chef der Abteilung für Transfusionsmedizin des „Hospital Rebagliati“ in einem Interview mit Andina, der peruanischen Nachrichtenagentur. Aus diesem Grund findet man in den Zeitungen Inserate und seit kurzem auch Aufrufe in Facebook  von Patienten, die dringend Blutspender benötigen. Die Spender und deren Blut werden penibel kontrolliert. „Rund 30% der Spender werden abgelehnt“, sagt Díaz Franco. Krankheiten wie Hepatitis, niedriger Hämoglobin- und hoher Fettblutgehalt sind häufige Gründe für eine Ablehnung.

Eine private Krankenschwester am Krankenbett

Der Mangel an Personal im „Hospital Rebagliati“ ist so eklatant, dass sich die meisten Patienten nach einer Operation gezwungen sehen, eine private Krankenschwester für deren Pflege zu beschäftigen. Laut Statistik des Gesundheitsministeriums Perus arbeiten in der Krankenpflege Landesweit rund 28.100 Personen, davon 2.000 im privaten Bereich, „aber es fehlen noch rund 12.000 weitere Pflegekräfte“, sagt Julio Mendiguri, ehemaliger Dekan des Krankenschwesterverbandes. Die niedrigen Löhne und die harten Arbeitsbedingungen machen den Job wenig attraktiv: während eine angestellte Krankenschwester im Spital monatlich umgerechnet 230 Euro verdient, bekommen jene die im privaten Bereich arbeiten im Durchschnitt 30 Euro pro Tag.

Die Stationen des „Hospital Rebagliati“ sind chronisch unterbesetzt, die Patienten müssen lange darauf warten, dass eine Krankenschwester nach ihnen sieht. Manche verletzen sich dabei, wenn sie z.B. ohne Hilfe aufstehen, um auf die Toilette zu gehen. „Gestern im Zimmer nebenan stürzte und verletzte sich ein Mann am Kopf. Keine Schwester kam, als er um Hilfe rief“, erzählt María José Jiménez, die ihre Mutter im Krankenhaus besuchte. Aus diesem Grund  leisten sich viele Patienten lieber eine private Betreuung im öffentlichen Spital. Die private Krankenschwester steht dem Patienten 24 Stunden zur Verfügung und schläft im Krankenzimmer auf einem Sessel oder sogar  auf dem Boden.

Besser als andere öffentliche Spitäler

Im „Hospital Rebagliati“ wurden 2011 monatlich rund 40.000 ambulante Patienten in 85 Fachordinationen behandelt. Jährlich werden in dem 1.500 Betten-Spital mehr als 27.000 Personen operiert. „Das Spital hat sehr moderne Geräte und die Ärzte haben viel Erfahrung und wissen daher was zu tun ist“, bringt Doris Cáceres-Findelberger ihre Entscheidung für dieses Krankenhaus auf den Punkt.

Der Vergleich mit anderen öffentlichen Einrichtungen gibt der 77-jährigen Recht. Im „Hospital Arzobispo Loayza“ in Lima sind viele Geräte mehr als 35 Jahre alt. Die Ärztin Sofia Reyes erklärte im Fernsehen, dass viele medizinische Gegenstände, die nach einer Operation oder einer Bluttransfusion entsorgt werden sollten, gereinigt und wieder verwendet werden, was zur Verbreitung von Krankheiten beiträgt. Männliche und weibliche Patienten teilen sich ein Zimmer und die Küche musste aus hygienischen Gründen geschlossen werden. Aber trotzdem wird das Essen unter nicht besseren Bedingungen weiterhin zubereitet.

Wie die Ärztin Zarela Solis 2009 treffend sagte, geht es nicht darum, neue Spitäler zu bauen, sondern die vorhandenen zeitgemäß auszustatten. Und das ist dem „Hospital Rebagliati“ bei allem Für und Wider bereits gelungen.

 


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