Soziologe Ismail Beşikçi: „Der Frieden ist auch abhängig vom türkischen Staat“

Ismail Besikci

14.05.2013 | 13:38 | Hülya Tektas

INTERVIEW. 17 Jahre seines Lebens verbrachte der Soziologe und Schriftsteller Ismail Beşikçi wegen seinen Publikationen in türkischen Gefängnissen. Ein Großteil seiner Werke war in der Türkei jahrzehntelang verboten. Seit seiner Dissertation beschäftigt er sich in seiner wissenschaftlichen Arbeiten mit Kurden. Auch privat setzt er sich für das Selbstbestimmungsrecht der Kurden ein, weshalb er unter Kurden einen Heldenstatus hat. Nun lebt der 74 jährige zurückgezogen und meidet die Öffentlichkeit. Für M-MEDIA sprach der berühmte Soziologe mit Hülya Tektas über den türkisch-kurdischen Friedensprozess und Rückzug der PKK Guerillas.

M-MEDIA: Bisher verfolgte Türkei stets ablehnende Politik gegenüber der PKK. Was ist der Grund für die letzten Verhandlung zwischen PKK Führer Abdullah Öcalan und der türkischen Geheimdienst MIT?

Grundsätzlich gibt es dafür zwei Gründe. Einerseits ist die bewaffnete kurdische Freiheitsbewegung nun sehr einflussreich geworden. Gleichzeitig war auch der parallele Kampf der türkischen Regierung gegenüber den Kurden und deren Kultur und die Assimilationspolitik erfolglos. Der seit 30 Jahren dauernde Konflikt hat einerseits die Kurden emanzipiert, andererseits dem türkischen Staat gezeigt, dass es militärisch nicht möglich ist, die Kurden zu besiegen.

Die internationale Politik im Naher Osten ist ein weiterer Punkt für diese Wende in der türkischen Politik. Der Einmarsch der USA in den Irak und das Ende der Baas Regime hat für die Kurden eine neue Ära eröffnet. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte haben nun Kurden einen politischen Status: Se haben eine autonome Region im Irak und können weitgehend über sich selbst bestimmen. Diese beiden gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen haben nun den türkischen Staat dazu gebracht, seine Kurdenpolitik zu überdenken und den Konflikt nun friedlich zu lösen versuchen.

M-MEDIA: Öcalan hat am kurdischen Newrozfest (Frühjahrsfest), am 21. März zum Frieden und Waffenstillstand und Rückzug der PKK Kämpfer aus der Türkei aufgerufen. Ist der Rückzug der Guerillas alleine ausreichend für einen Frieden?

Der Frieden ist auch abhängig vom türkischen Staat. Viele parlamentarische und rechtliche Schritte sind dafür notwendig. Es muss zum Beispiel eine unabhängige Kommission gegründet werden, die den Friedensprozess kontrolliert.

M-MEDIA: Laut einer kürzlich durchgeführten Umfrage unterstützen 90% der Kurden Öcalan. 81% sehen in Öcalan ein Vertreter der Kurden. Wie sehen Sie es?

Die Kurdenproblematik der Türkei ist eine politische Frage. Demnach ist es besser, wenn die Verhandlungen zwischen BDP (Prokurdische Partei im türkischen Parlament) und der türkischen Regierung stattfinden und nicht zwischen Abdullah Öcalan und der türkischen Geheimdienst.

M-MEDIA: Bei der Gründung im Jahr 1978 forderte die PKK ein unabhängiges Großkurdistan, das alle vier Teile (Türkei, Irak, Iran und Syrien) umfasst. Heute ist die Rede jedoch von mehr kulturellen Rechte für Kurden innerhalb der türkischen Grenzen. Wie ist diese Veränderung der PKK Forderungen zu deuten?

Auch diese Entwicklungen im Norden (Türkei) haben auch Auswirkungen auf alle Kurden, die im Süden (Irak), im Osten (Iran) und im Westen (Syrien). Was in einem Teil von Kurdistan passiert, beeinflusst auch andere Teile Kurdistans.

M-MEDIA: Wie betrachten Sie den diesen Rückzugsprozess von PKK. Was bringt es für die Kurden?

In den letzten 30 Jahren hat sich für Kurden vieles verändert. Noch vor 20 Jahren wurde die kurdische Sprache und Kultur in der Türkei vollkommen ignoriert bzw. verboten. Nun hat sogar die türkische Regierung einen öffentlich rechtlichen Fernsehsender auf Kurdisch. Das alles ist auf den kurdischen Kampf zurückzuführen. Dieser Friedensverhandlung ist als ein erster Schritt zu sehen. In den nächsten 20 Jahren werden Kurden mehr Rechte einfordern und sie auch bekommen.

 


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