Anonymisierte Bewerbungen gegen Vorurteile am Arbeitsmarkt?

18.09.2012 | 20:03 | Marlies Kastenhofer

Ein Pilotprojekt von Frauenministerium und mehreren Unternehmen soll Diskriminierungen wegen Herkunft, Geschlecht und Alter minimieren.

Wien. Es ist formal verboten, kommt dennoch immer wieder vor: Selbst bestqualifizierte Bewerber werden regelmäßig für ausgeschriebene Arbeitsplätze abgelehnt, weil Herkunft, Alter oder Geschlecht nicht ins Bild des Personalchefs passen. Nachzuweisen ist diese Art der Diskriminierung jedoch nur selten.

Ein Pilotprojekt von Frauenministerium, den Konzernen Rewe und Novomatic sowie dem Verein „Wirtschaft und Integration“ soll das Problem lösen. Die Projektpartner machen die anonymisierte Bewerbung mit standardisiertem Fragebogen möglich. Das bedeutet, dass für die Vorauswahl zum Bewerbungsgespräch ausschließlich nach objektiven Kriterien entschieden wird. Herkunft, Alter und Geschlecht bleiben dem Unternehmen bis zum ersten persönlichen Gespräch unbekannt.

Die Idee der anonymisierten Bewerbungen basiert auf einem Projekt in Deutschland. Die Initiative, es auch in Österreich umzusetzen, kam von SOS Mitmensch. Arbeiterkammer und Arbeitsmarktservice stehen der Initiative positiv gegenüber. Ingrid Moritz, Abteilung Frauen & Familie der AK Wien, findet, dass das Projekt sensibilisieren könne, welche Faktoren auf dem Arbeitsmarkt neben der Qualifikation noch eine Rolle spielen. Beatrix Sprenger vom AMS bezeichnet das Projekt als „hervorragend“. Es sei sowohl für Bewerber als auch für Unternehmen eine Chance, bestgeeignete Kandidaten nur nach Qualifikation eingestellt würden

Kammer gegen Verpflichtung

Aber: „Unternehmen, die das freiwillig machen wollen, können es machen. Wir wollen es auf keinen Fall verpflichtend“, meint Rolf Gleißner, Referent der Abteilung Sozialpolitik und Gesundheit der Wirtschaftskammer Österreich. Er erachtet zwei Aspekte als problematisch. Erstens komme es einer Art Zensur gleich, wenn Bewerber zu ihrer Identität stünden und Informationen, wie Herkunft und Geschlecht, streichen müssten. Zweitens seien anonymisierte Bewerbungen ein Mehraufwand für Unternehmen, da mehr Bewerbungsgespräche geführt werden müssten.

Ester Maria Kürmayr von Schwarze Frauen Österreich betrachtet das Projekt mit gemischten Gefühlen. „Die Absicht ist löblich, aber erst die Praxis wird zeigen, was sie bewirkt.“ Die Aktion an sich sei gut, weil sie Bewusstsein schaffe. Kürmayr gibt allerdings zu bedenken, dass damit Diskriminierung nicht zwangsläufig verhindert werde, und vergleicht die Situation mit der Wohnungssuche. „Wenn dann eine Person mit Migrationshintergrund vor dem Vermieter steht, heißt es, die Wohnung ist besetzt. Auch, wenn vorher am Telefon versichert wurde, dass sie frei ist.“

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 19.09.2012)


ein Kommentar

  • Heinrich Elsigan

    Mit der anonymisierten Bewerbung will man möglichst viel Chancengleichheit für benachteiligte Gruppen am Arbeitsmarkt in einer doch noch von Männernetzwerken dominierten Gesellschaft erreichen. Allerdings steht die anonymisierte Bewerbung komplett im Gegensatz zur verordneten Frauenquote, daher finde ich beides zusammen gleichzeitig als Maßnahmen eher sinnfrei. Ein weiteres Beispiel, wo die anonymisierte Bewerbung kann Frauen sogar schaden kann: Ich als postgender Pirat bin persönlich der Ansicht, dass Frauen oft die besseren Finanzcontrollerinnen sind. Ich würde daher als Finanzcontrollerin immer eine Frau mit Berufserfahrung auch bei etwas schlechterem Ausbildungsgrad gegenüber einem Mann als Controllerin bevorzugen. Handle ich hier unethisch ihrer Meinung nach? Ich sehe auch noch folgendes Problem am Arbeitsmarkt, das hauptsächlich Frauen aber auch langsam immer mehr modernere Männer betrifft: Singles oder kinderlose werden gegnüber Eltern mit Kindern logischerweise von vielen Unternehmen bevorzugt. Kinderlose können einfach flexibler dem Unternehmen zur Verfügung stehen und haben keinerlei Betreuungs- und Aufsichtspflichten gegenüber Kindern. Pflegeurlaub wird auch kaum in Anspruch genommen. Das erschwert meiner Meinung nach die finanzielle Situation von Eltern zusätzlich! Was ist ihre Meinung dazu? Freundliche Grüße, Heinrich Elsigan. Geschrieben um 25. Dezember 2012 um 05:37 Uhr Antworten

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