Baustellen-Gefahren: Migranten als Unfallopfer

HINTERGRUND:
  • Studie: Unter dem Titel „Kommunikation und Sicherheit auf der mehrsprachigen Baustelle“ wird derzeit über aktuelle Veränderungen auf internationalen Baustellen aus arbeitsorganisatorischer, aber auch sicherheitstechnischer Sicht geforscht. Die Ergebnisse der von der AK Wien in Auftrag gegebenen qualitativ-empirischen Studie sollen im Jänner 2013 vorgestellt werden.
  • Termin: Die Präsentation der Studienergebnisse findet am 23. u. 24. Januar 2013 im Bildungszentrum der AK Wien, 1040, Theresianumgasse 16-18, statt.

08.08.2012 | 9:59 | Ania Haar

Alljährlich werden tausende Arbeiter Opfer von Unfällen auf Baustellen, auch viele Menschen mit Migrationshintergrund. Tragen mangelnde Deutschkenntnisse daran eine Mitschuld?

Wien. „Es gibt Hinweise, dass bei Bauarbeitern mit Migrationshintergrund, die Deutsch schlecht oder gar nicht beherrschen, die Unfallrate viel höher ist“, sagt Anton Leicht. Der Projektkoordinator des Weiterbildungsanbieters bei Ibis Acam entwickelt deswegen auch eigene Kurse, um diesem Problem entgegenzuwirken – etwa das von der EU mitfinanzierte Projekt CoLa („Construction-related Language Learning for Migrant Workers”), das sich an Bauhilfsarbeiter mit Migrationshintergrund richtet.

Dass der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund in der Baubranche hoch ist, gilt als unbestritten. „Auf der Baustelle, wo ich gerade arbeite, sind 95 Prozent Ausländer“, sagt Karol Jurczak (Name geändert). Der polnische Arbeiter erzählt, dass auf den Baustellen zunehmend ausländische Subunternehmer für die großen österreichischen Baufirmen tätig sind. „Und es wird kaum Deutsch gesprochen, dafür aber sehr viel gedolmetscht.“

Ältere sprechen kein Deutsch

Zwar gebe es viele Arbeiter, die neben ihrer Muttersprache auch Deutsch beherrschen, aber: „Es gibt auch welche, die kein Deutsch lernen wollen. Das sind öfters die Älteren.“ Und da kann es schon zu Missverständnissen kommen. Dass die in der Folge zu Unfällen führen, hat der 48-Jährige aber noch nicht erlebt.

Es ist noch wenig bekannt, wie Kommunikation und Sicherheit auf mehrsprachigen Baustellen in Österreich zusammenhängen. Eine qualitativ-empirische Studie dazu im Auftrag der Arbeiterkammer Wien ist für kommenden Jänner angekündigt. Doch mit dem bisher vorliegenden Datenmaterial lassen sich noch keine konkreten Aussagen machen.

Ob Arbeitsunfälle tatsächlich mit fehlenden Deutschkenntnissen zusammenhängen, ist daher schwer zu eruieren. Was unter anderem daran liegt, dass in den Statistiken zwar die Staatsbürgerschaft, nicht aber Deutschkenntnisse erhoben werden. 2011 verunfallten 1536 Bauarbeiter aus dem ehemaligen Jugoslawien, 487 aus der Türkei, auf dem dritten Rang liegen Arbeiter aus Deutschland mit 378. Die Zahl der verunfallten Österreicher ist mit 15.347 indes deutlich höher.

Fehler in der Organisation

Ilan Giuli, Geschäftsführer der IG-Control, einer Beratungsfirma, die sich auf Arbeitnehmerschutz und Baustellenkoordination spezialisiert hat, meint, dass es weniger mit Deutschkenntnissen zu tun habe als mit der Organisation des Unternehmens. Wo erfolgreich Arbeitnehmerschutz durchgeführt werde, „passt alles“.

Diese Einschätzung vertritt auch die Broschüre „Koordination von Bauarbeiten“ der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA)unter Berufung auf europäische Studien. Demnach sind zwei Drittel aller Arbeitsunfälle und rund 60 Prozent der tödlichen Baustellen-Unfälle auf Fehler in der Baustellenorganisation zurückzuführen. Und nur 20 Prozent auf Fehler bei der Ausführung der eigentlichen Arbeit. „Unfälle passieren nicht“, sagt Giuli, „sie werden verursacht.“

Es reiche nicht, nur Baustellenprotokolle (etwa die Überprüfung der Sicherheitsmaßnahmen) zu erstellen, man müsse mit den Menschen reden – auch mit denen, die nur wenig Deutsch verstehen. „Mir ist noch nie passiert, dass etwas nicht verstanden wurde“, sagt Giuli. Es gibt auf der Baustelle Bereiche, in denen es mehr Unfälle gibt – etwa dort, wo rückwärtsschiebende Maschinen eingesetzt werden. Und zwei Drittel aller Unfälle sind Sturzunfälle. „Wenn etwas tatsächlich passiert, dann weil Schutzmaßnahmen nicht vorhanden waren, überschritten oder nicht beachtet wurden.“

Giuli zeigt aber noch eine andere Dimension des Problems auf: Aufgrund der hohen Fluktuation von Leiharbeitskräften auf dem Bau kommt es vor, dass Teams, die einander nicht kennen, kurzfristig zusammenarbeiten müssen. Verständigungsschwierigkeiten seien so vorprogrammiert.

Die dreckigsten Arbeiten

Das ist auch die Erfahrung von Ümit Arslan. Der Geschäftsführer einer Firma, die Gas-, Wasser- und Heizungsanlagen betreut, meint: „Es hat etwas mit der Aufteilung der Leiharbeiter zu tun.“ Diese würden für die „schwierigsten, dreckigsten und gefährlichsten Arbeiten zugeteilt. Genau dort passierten die meisten Unfälle.“


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