Brunnenmarkt: Bunt, aber keine Goldgrube

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26.06.2008 | 19:12 | Josipa Crnoja

In Wien-Ottakring fädelt sich die Welt entlang von 550 Metern Straße auf. Reich kann hier allerdings niemand werden.

WIEN. „Hier treffen einander viele fremde Kulturen, deshalb gehe ich gerne dort einkaufen. Ich finde den Brunnenmarkt super“, sagt Abida Cardaklija. Sie stammt aus Bosnien-Herzegowina und lebt seit acht Jahren quasi ums Eck des Brunnenmarkts.

Buntheit ist hier nichts Ungewöhnliches, sondern Programm. Nicht nur die Herkunft der Marktstandler ist verschieden, sondern auch die der Waren, die sie verkaufen. Nicht selten sind Kunden von der Anordnung der Stände ein wenig verwirrt – da steht ein türkischer Gemüsehändler neben dem Stand des Inders, der Kleider verkauft, daneben ein Serbe, der Käse feil bietet. So geht es entlang des ganzen Markts, seit mehr als 200 Jahren schon.

„Möchten sie Obst? Es ist ganz frisch! Und die Vitamine!“, ruft der 28-jährige Ali immer wieder vorbeikommenden Leuten zu. „Hier am Anfang, haben wir den besten Platz am Brunnenmarkt“, sagt Ali, der seit vier Jahren bei seinem Onkel arbeitet. Der gelernte Installateur ist auf die 40-jährige Tradition des Familienbetriebes an diesem Standort stolz. „Größtenteils sind unsere Stammkunden Österreicher, manche von ihnen kommen seit mehr als 30 Jahren.“ Er selbst stammt aus der Türkei.

Auf einer Länge von 550 Metern und mit 170 Marktständen ist der Brunnenmarkt der längste Straßenmarkt Europas. „Er war immer schon von Zuwanderern geprägt, schon um 1900 herum wurde hier hauptsächlich Tschechisch gesprochen“, berichtet Ulli Schmidt. Sie hat den Brunnenmarkt zum Thema ihrer Diplomarbeit gemacht. Die 29-jährige Soziologiestudentin lebt seit acht Jahren im Brunnenviertel und ist von der Lebendigkeit des Marktes fasziniert. „Wenn ich die Fenster meiner Wohnung aufmache, sehe ich den ganzen Brunnenmarkt und spüre das Leben dort“, sagt Ulli.

Aber: Sie bemängelt fehlende Freiflächen, fehlende Bäume, das Fehlen von Parks. Obgleich sie dort nach wie vor gern einkauft, fällt ihr auch auf, dass Obst- und Gemüsehändler mehr und mehr verdrängt werden – „durch Fetz’nstandl’n“, wie sie die Textilhändler nennt.

„Jetzt ist es nicht gut“

Einer von ihnen ist Laalh. Er ist 50, kommt ursprünglich aus Indien und meint dazu: „Das Geschäft war früher besser, jetzt ist es nicht gut. Vieles ist teurer geworden“. Und dem dreifachen Familienvater bleibt auch nicht erspart, allmorgendlich um den besseren Platz zu kämpfen. Jene ohne angestammte Rechte sind auf einen Losentscheid angewiesen – ein alltägliches Lotteriespiel. „Bei mir kaufen immer mehr Leute aus Ex-Jugoslawien, weniger Österreicher,“ so Laalh.

Auch für Ali und seine Familie ist die Situation schwieriger geworden: „Das Geschäft wird immer weniger, wir hatten früher fast 1000 Stammkunden, jetzt sind es etwa 300“. Schuld geben Ali und viele andere Standbesitzer den wachsenden Lebenshaltungskosten und der geringer werdenden Kaufkraft.

Derzeit wird das Grätzel um den Brunnenmarkt von Grund auf renoviert. Die Stadt Wien hat ein Projekt gestartet, das in fünf Bauphasen abgewickelt wird und 4,6 Millionen Euro kostet. 2010 soll es dann abgeschlossen sein. Es werden neue Wohnungen entstehen, die Versorgung des Markts mit Strom-, Wasser- sowie Kanalanschlüssen wird erweitert und die Fußgängerzone erneuert.

Für Abida ist das eine Fleißaufgabe, auf die sie verzichten könnte. Sie meint, dass sich der Brunnenmarkt optisch nicht zu ändern brauche: „So wie er ist, soll er bleiben. Es wirkt jetzt natürlicher“.

(JOSIPA CRNOJA, „Die Presse“, Print-Ausgabe, 26.06.2008)


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