Die Gelben Seiten der Communities

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23.08.2011 | 19:44 | Milagros Martinez-Flener

Einige Migrantengruppen geben ihr eigenes Branchenbuch, als Broschüre oder online heraus. Die Verzeichnisse sollen auch als Ratgeber und Orientierungshilfe, etwa bei Firmengründungen, dienen.

Wien. „Das Branchenbuch soll das wirtschaftliche Potenzial der türkischen Community in Österreich widerspiegeln“, sagt Hüseyin Taş. Der Obmann des österreichisch-türkischen Wirtschaftsvereins war der Erste, der das Risiko wagte: 2002 veröffentlichte er ein Verzeichnis, in dem etwa 8000 türkische Unternehmen aus ganz Österreich erfasst sind. Seither erscheint die rund 400 Seiten starke Broschüre regelmäßig.

Und seither hat sich auch in anderen Communitys etwas bewegt: Immer mehr Branchenverzeichnisse werden von den Migrantengruppen in eigener Regie und in ihrer jeweiligen Sprache herausgeben. Sie listen nicht nur Namen und Adressen von Firmen unterschiedlicher Branchen auf – sie dienen auch als Ratgeber und kürzen Informationswege. So liefert das serbische Branchenbuch „Biznis Informator“ außer allgemeinen Infos über Wien – auf Deutsch – auch eine Liste von Sehenswürdigkeiten. Das chinesische Verzeichnis hingegen listet die wichtigsten Behörden ausschließlich auf Chinesisch auf. Laut Hüseyin Taş soll das türkische Verzeichnis mit einem Leitfaden für Firmengründungen nicht zuletzt auch jenen helfen, die ein Geschäft neu eröffnen wollen. Zusätzlich bietet die Broschüre Einblicke in die lokalen Marktstrukturen; das soll als Orientierungshilfe dienen, ob sich ein Engagement in der einen oder anderen Branche auch rentiert.

Anfänge in Facebook

Auch wenn die Branchenverzeichnisse größtenteils für den Vertrieb gedacht sind, waren die Gründe für ihre Veröffentlichung nicht immer wirtschaftlicher Natur. Die polnische Zeitschrift „Polonika“ etwa behandelt seit 16 Jahren Themen, die das alltägliche Leben der rund 40.000 in Österreich lebenden Polen der ersten und zweiten Generation betreffen. Daher beschlossen ihre Herausgeber, Halina und Slawomir Iwanowski, in jeder Ausgabe eine Kontaktliste von Firmen und Personen zum jeweiligen Schwerpunktthema der Zeitschrift zu veröffentlichen. Das Interesse der Leser war so groß, dass seit 2006 separate Broschüren mit umfassenden Informationen über polnischsprachige Übersetzer, Ärzte und Anwälte aus ganz Österreich veröffentlicht werden und demnächst auch online im Internet abgerufen werden können.

Die Gruppe „Latinos – Vienna“ zählt sich selbst zur neuen Generation von Mikroprojekten, die ihren Ursprung in Facebook haben. In Wien lebende Lateinamerikaner haben sich im März 2011 mit dem Ziel organisiert, einen virtuellen Raum für den kulturellen und sozialen Austausch zu schaffen. Die große Akzeptanz der Gruppe, die mittlerweile ungefähr 4500 Mitglieder zählt, führte zum Aufbau eines eigenen Internetportals.

Ähnlich wie bei der Zeitschrift „Polonika“ waren es die Leser und User, die Projektdirektor Víctor Tabarez dazu veranlassten, ein auf die Lateinamerikaner zugeschnittenes Branchenbuch online zu veröffentlichen.

Keine öffentliche Finanzierung

Einen anderen Weg verfolgte Farzahne Emadi, Chefredakteurin von „Irani“, den iranischen Gelben Seiten in Österreich. Aus Mangel an Informationen innerhalb der Community in Wien und als Ratgeber für jene Iraner, die erst kürzlich nach Wien gekommen sind, baute sie eine persisch-österreichische Plattform im Internet auf. Wie auch bei anderen Gruppen waren es die Bedürfnisse nach Informationen über Ärzte, Lebensmittel oder Versicherungen in der eigenen Sprache, die zur Einrichtung der Gelben Seiten führten. Vor Kurzem hat Emadi auch die Facebook-Gruppe „Irani AT“ gegründet, „die ausschließlich für unsere registrierten Kunden reserviert ist“.

Die Projekte verbindet, dass sie das Ergebnis von privaten Initiativen sind, die sich ausschließlich durch Inserate finanzieren. Dabei würde finanzielle Unterstützung die Arbeit erleichtern, heißt es von den Betreibern unisono. Vor allem dann, wenn es um die Datenrecherche und -erfassung geht. Während Halina Iwanowska von „Polonika“ Listen von Branchen, wo Polen tätig sind, in mühsamer Recherche sammelt, fährt Hüseyin Taş mit seinem Team durch ganz Österreich, um seine türkischen Kunden persönlich zu betreuen. Farzahne Emadi ist auch viel unterwegs, da viele Inserenten Wert auf den persönlichen Kontakt legen. Bis zu acht Monate Arbeit werden in die Recherche, Erfassung und Überprüfung der Daten investiert.

Risiko: Datendiebstahl

Das Risiko bei den Branchenverzeichnissen besteht vor allem darin, dass die mühsam recherchierten Daten von Dritten kopiert und weiterverkauft werden. Emadi hat sich einmal erfolgreich gegen den Onlinediebstahl ihrer Daten gewehrt, aber gegen große österreichische Anbieter oder internationale Firmen könne auch sie nichts ausrichten, sagt sie. Dafür fehlten ihr die Zeit und das Geld. Beides investiere sie lieber in die erfolgreiche Fortsetzung ihres Projektes.

 

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 24.08.2011)


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