Migration auf Zeit: Pendeln über die Grenze

AUF EINEN BLICK
  • Internationale Pendler. Die Zahl der Pendler aus den EU-Beitrittsstaaten von 2004 (u.a. Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn) nach Österreich lag im April2012 bei etwa 37.300, die Zahl der Migranten aus diesen Ländern bei 68.300. Der Zuwachs gegenüber 2011 war dabei unter Pendlern stärker als unter Migranten.

17.09.2012 | 12:27 | Ania Haar

Im Zuge der Arbeitsmarktliberalisierung verändern sich auch innereuropäische Migrationsbewegungen. Das Pendeln spielt eine wichtige Rolle. Ein Forschungsprojekt untersucht nun diese Form der Arbeitsmigration.

Wien. Arbeit und Migration, das sind zwei Begriffe, die häufig zusammengehören – der früher geläufige Begriff „Gastarbeiter“ ist ein Indiz dafür. Doch in einem anderen Land zu arbeiten, bedeutet nicht zwangsläufig, auch seinen Lebensmittelpunkt dorthin zu verlegen. Denn ein Phänomen, das innerhalb eines Landes quasi selbstverständlich ist, gibt es auch über Staatsgrenzen hinweg: das Pendeln.

Laut EU-Definition ist ein Pendler (cross-border worker) jemand, der mindestens einmal im Monat in sein Heimatland zurückkehrt. Tendenziell seien internationale Pendler eher Männer als Frauen, sagt Peter Huber, stellvertretender Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo). Und sie wohnen hauptsächlich in Grenzregionen. Zu ihnen gehören einerseits Saisonarbeiter, die vor allem in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Andererseits gibt es Pendler, die schon seit Jahren in Österreich arbeiten, deren Familien aber nach wie vor im Ausland leben.

 

Weniger Druck als Migranten

Krystyna K. arbeitet seit sechs Jahren in Wien, fährt aber regelmäßig in ihre Heimat Polen. Als ihr Familienunternehmen, das sich auf die Ersatzteilproduktion für den Autohersteller Fiat spezialisiert hatte, keine Aufträge mehr bekam, war sie plötzlich arbeitslos. Und fand in Warschau auch keinen anderen Job. So verließ sie ihre Familie und ging nach Wien. Hier arbeitet die 58-Jährige als Altenpflegerin. Ein Beruf, den sie mag – und für sie war schon im Vorhinein klar, dass sie nicht jeden Job machen würde: „Putzen kann ich nicht.“

„Pendler haben weniger Druck sich zu integrieren als Migranten“, sagt Huber, „denn Pendler sind in einer viel stärkeren Position, weil sie mehrere Alternativen haben und sich aussuchen können, was sie machen.“ Migranten haben diese Position nicht – und müssen oft auch schlechte Jobs annehmen, weil sie in einer Notsituation sind. Ein Pendler kann hingegen ausprobieren, ob das Arbeiten und Leben im Ausland funktioniert. Zwar haben Pendler laufend Reisekosten, dafür sparen sie sich die Kosten für die Umsiedlung und eine eigene Wohnung.

Höhere Einkommen als Migranten

„Die Auswirkung des Pendelns auf die soziale Stellung ist eine andere als bei Migranten“, sagt Klaus Nowotny, Assistenzprofessor im Fachbereich Sozial- und Wirtschaftswissenschaften der Uni Salzburg. „Durch das höhere Einkommen können Pendler ihre gesellschaftliche Position im Heimatland verbessern, während Migranten sich im Ausland oft am unteren Ende der Einkommensskala wiederfinden.“

Für Pendler gibt es aber auch Unsicherheiten, etwa Wechselkursveränderungen. Zwar können sie sich positiv auswirken – wertet etwa die ungarische Währung gegenüber dem Euro ab, steigt der Wert des in Euro verdienten Einkommens in Ungarn. Doch bei einem schwachen Euro kann das schnell ins Gegenteil umschlagen.

Bei der Jobsuche im Ausland spielen Netzwerke oft eine entscheidende Rolle: „Wer Freunde, Bekannte oder Verwandte im Ausland hat, sucht über sie eine neue Beschäftigung“, sagt Nowotny. „Hat man keine Freunde oder Bekannte, ist die Bereitschaft zu migrieren oder zu pendeln geringer“.

Oft ist die Grenze zwischen Migranten und Pendlern nicht sehr deutlich ausgeprägt. „Es ist keine Frage des Einkommens, die sich festlegen lässt“, meint Nowotny, „aber wer regelmäßig nach Hause fährt, ist Pendler.“ In der ökonomischen Forschung sind die Auswirkungen des Pendelns auf den Arbeitsmarkt noch wenig erforscht. Vergleichbare Studien für Migrationswellen nach Österreich zeigen jedoch, dass Grenzpendeln keine großen Effekte auf Löhne und Arbeitslosigkeit haben dürfte.

Auch gesellschaftliche und sozialen Auswirkungen des grenzüberschreitenden Pendelns (innereuropäische Migrationsbewegungen) sind bisher wenig untersucht worden. Ein Forschungsprojekt an der Uni Wien soll diese Lücke schließen. Die Europaregion Central Europe mit Wien als Ballungsraum und Migrationsbewegungen aus Tschechien, der Slowakei und Ungarn dient als Forschungsfeld. „Wir wollen systematisch erheben, wer diese Arbeitsmigranten sind, welche Migrationsbiographie sie haben“, sagt Roland Verwiebe, Professor am Institut für Soziologie, der mit dem Soziologen Christoph Reinprecht das Projekt leitet.

Doppeltes Integrationsbild

Obwohl man erst in der Anfangsphase ist, weiß man bereits, dass es sich um ein „sehr buntes Bild“ handelt. Zwischen Oktober und Dezember werden 2400 ausführliche Interviews in Grenzregionen zu Österreich durchgeführt, zusätzlich finden Experteninterviews und biografische Befragungen statt. Eine spannende Frage bleibt die Integration. Verwiebe nennt es „doppeltes Integrationsbild“: Wer hier und da lebt und hohe Pendelkosten und Belastungen auf sich nimmt, entwickelt auch andere Verhaltensmuster. „Es ist wie Tanzen auf zwei Hochzeiten“, sagt der Soziologe, „und das wollen wir genauer untersuchen.“

 


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