Ex-Jugoslawien driftet (weiter) auseinander
15.04.2008 | 18:55 | REDAKTION
„Serbokroatisch“ – Für immer weniger ist dies eine gemeinsame Sprache, auch wenn sie von allen, die aus dieser Region stammen, einwandfrei verstanden wird.
WIEN (d.r.). „Serbokroatisch und Slowenisch“ – Knapp wird in der überwiegenden Zahl aller Fälle die Antwort ausfallen, wenn man nach der Sprache fragt, die in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens gesprochen wird. Die Wirklichkeit ist differenzierter, und diese Entwicklung hat sich deutlich durch die politischen Entwicklungen der vergangenen 15 Jahre verstärkt. Die Sprachen entwickeln sich auseinander und die Unterschiede werden deutlicher.
Dennoch sprechen Wissenschaftler im Grunde von einer Sprache. Genauso einig sind sich die anerkannten Slawisten darin, dass diese eine Sprache auf zwei Sprachsysteme aufgeteilt wird: Ekavisch (in Serbien) und Ijekavisch (in Montenegro, Kroatien, Bosnien und Herzegowina).
Eine besondere Rolle kommt in dieser Sprachentwicklung auch den Ausgewanderten, deren Kindern und den Angehörigen der dritten Generation zu, die in erster Linie mit Deutsch als Muttersprache aufgewachsen sind. Bei ihnen verstärken sich die Unterschiede und sie definieren ihre Sprache vor allem territorial – und meinen, sie sprechen Kroatisch, Serbisch oder Bosnisch. Dazu kommt noch, dass sehr bald auch von einer vierten Sprache die Rede sein wird: von Montenegrinisch.
Verstärkt wird diese Entwicklung dadurch, dass diese Sprachen von Dialekten und Lokalismen geprägt werden, die im Elternhaus verwendet werden.
Während es in der Schriftsprache grammatikalisch kaum Unterschiede gibt, so existieren sie jedoch im gesprochenen Wort und in der differenzierten Bedeutung sonder Zahl.
Während „Milch“ bei Montenegrinern, Bosniern, Kroaten und Serben, die außerhalb Serbiens geboren sind, „mlijeko“ heißt, heißt dieser Begriff bei Serben, die in Serbien zur Welt gekommen sind, „mleko“. Kein Einzelfall. Solche Unterschiede treten auch bei „Kind“ (dijete – dete), „schön“ (lijepo – lepo) oder „vorher“ (prije – pre) auf.
In Kroatien gibt es sprachlich drei unterschiedliche Strömungen, die auseinander driften: Die eine liegt in und um Zagreb, die andere an der Küste und die dritte auf den Inseln. Möglicherweise noch größer sind die sprachlichen Differenzierungen innerhalb Serbiens. Denn im Südosten verwendet etwa eine Million Menschen zum Teil archaisches Vokabular, zu dem einfache Deklinationen entwickelt werden. Zudem werden sie unterschiedlich akzentuiert.
Geprägt wird die sprachliche Entwicklung schließlich auch durch ethnische Minderheiten, vor allem von den Roma und den Walachen, die aus dem heutigen Serbien stammen.
(Dejan Ristich, „Die Presse“, Print-Ausgabe, 16.04.2008)